Sylvain Tesson: Weiß

Der französische Schriftsteller Sylvain Tesson (Jahrgang 1972) hat Geographie studiert und an mehreren Expeditionen teilgenommen. 2019 erschien sein Reisebericht „Der Schneeleopard“ und wurde zum Bestseller. Nun hat der Rowohlt Verlag am 14. November 2023 unter dem Titel „Weiß“ Tessons nächstes Abenteuer veröffentlicht. Nicola Denis hat es aus dem Französischen übersetzt.

Drei Männer und ein Abenteuer

Von 2018 bis 2021 hat Sylvain Tesson gemeinsam mit dem Bergführer Daniel du Lac und später dem Ingenieur Philippe Rémoville die Alpen von West nach Ost auf Skiern gequert. Los geht es im März 2018 in Menton, Frankreich. Im April 2021 kommen sie in Triest, Italien, an. Vier Jahre lang in jedem Spätwinter schnallten Tesson und seine Begleiter die Skier an und bewältigten ca. 1600 Kilometer durch die Berge.

Vom ersten Tag an führt Sylvain Tesson Protokoll über das Abenteuer im Schnee, Nebel und Sturm. Von Hütte zu Hütte, tausend Höhenmeter am Tag, ein Feuer und eine Suppe am Abend, einfach und anspruchsvoll, so sehen ihre Skitouren aus. Lawinengefahr, Eisspalten und Verirren im Nebel  bringen eine körperliche und geistige Grenzerfahrung nach der anderen. Aber als kernige und mutige Männer trotzen sie den Gefahren und erreichen Gipfel um Gipfel. Trotz Pandemie und Schlechtwetterphasen geben sie ihren Plan nicht auf. Sylvain Tessons Reiselektüre an diesen Tagen sind literarische und philosophische Klassiker. Er selbst erlebt während des Skiwanderns meditative Momente. Die Farbe „Weiß“ spielt in seinen Betrachtungen eine große Rolle.

Nach 85 Skiwandertagen erreichen die Männer ihr Ziel und baden im blauen Meer.

Eingebildet und zynisch

Sylvain Tessons Reisebericht „Weiß“ ist ein akribisches Protokoll über ein Abenteuer für Männer, die dem Alltag entfliehen und den „Thrill“ suchen. Verpackt hat Tesson dies in einige philosophische Überlegungen und historische Exkurse. Dies täuscht jedoch nicht über einen Text hinweg, der den Schreibenden machohaft, eingebildet und egoistisch erscheinen lässt:

„Für mich war das Jahr mit Herumschweifen und Klettern verbunden gewesen, unproduktiv und lustvoll…Derzeit war in den Zeitungen von einem Virus die Rede, das chinesische Bauern in einem Dorf inmitten des Han-Imperiums befallen hatte: Nichts, was uns beträfe.“ (S. 137/138)

Während Covid-19 oder Corona im italienischen Bergamo tausende Menschen dahinrafft, sitzen die Abenteurer auf einer Hütte in den Bergen und freuen sich, den Quarantänebestimmungen ein Schnippchen geschlagen zu haben. Zynischer geht es kaum:

„In Lausanne trugen die Leute Masken im Zug.

Ich fand das lächerlich. Masken! Zum Glück würde es in Frankreich nie so weit kommen.“ (S. 172)

Da hätte ich mir ein aufmerksameres Lektorat des Textes gewünscht, als „Weiß“ 2022 auf Französisch erschienen ist.

Dazu kommt noch ein weiteres Ärgernis: Tessons Hasenfüßigkeit gegenüber Krisen, Konflikten und Beschwernissen des Alltags. So sagt er an einer Stelle des Textes auf Seite 155: „Für mich war die Flucht das edelste Handwerk der Welt.“

„Weiß“ von Sylvain Tesson ist vielleicht ein Buch für abenteuerlustige, mittelalte, gelangweilte Männer mit Hang zur Selbstdarstellung, für alle anderen eher nicht.

Sylvain Tesson: Weiß.
Aus dem Französischen von Nicola Denis.
Rowohlt Hundert Augen, November 2023.
256 Seiten, Gebundene Ausgabe, 23,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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