Ein Buch über den Tod? Über sechs Trauernde, die mit dem Verlust eines Menschen leben müssen? Will man das lesen?
Man muss!
Sybil Volks hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben über ein Dutzend Menschen und über einen Friedhof, den Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, dessen zahlreiche berühmte „Bewohner“ – von Fichte bis Hegel, von John Heartfield bis Otto Sander, von Herbert Marcuse bis Fritz Teufel – kleine Nebenrollen spielen.
Der Ort der Handlung ist real. Sein Verwalter Kristof, der dort ein Café betreibt, in dem sich für jeweils ein Jahr Menschen versammeln, um gemeinsam ihre Trauer zu verarbeiten, ist fiktiv. So wie die diesjährige Trauergruppe, die sich im Café Finito unter dem programmatischen Schild »Lost & Found« trifft.
Da sitzen die Schriftstellerin Iris, die bis zuletzt ihre Mutter gepflegt hat, und die alleinerziehende Ärztin Mira, die so sehr mit sich selbst beschäftigt war, dass sie ihrer besten Freundin im Todeskampf nicht beistand. Lizzie muss nach 70 Jahren Ehe ihren Mann zu Grabe tragen, mit dem sie eigentlich gemeinsam Selbstmord begehen wollte, und Leonies Welt bricht zusammen, als sie ihr ungeborenes Kind verliert. Mit am Tisch: Matthias, ein Lebensversicherer, dessen routinierter Alltag nach dem Unfalltod seiner früheren Geliebten jeglichen Sinn verliert, und Jonas, ein schweigsamer DJ, der nicht weiß, was er mit dem Erbe seines Vaters anfangen soll.
Sybil Volks hat ihre Figuren geschickt gewählt: Es ist eine bunte Mischung unterschiedlichster Lebenslagen, und doch sind sie vereint in der Konfrontation mit existenziellen Fragen, ja Bedrohungen. Volks schildert das Leben dieser Figuren vor und nach dem Tod der für sie zentralen Menschen. Verunsichert, schuldbeladen, hilflos, haltlos geworden, reden sie, zunächst stockend, dann immer offener und befreiender, über die Dinge des Sterbens. Und des Weiterlebens. Über all das, mit dem wir alle konfrontiert werden oder bereits wurden, wenn Menschen in unserem Umfeld sterben. So drehen sich die Gespräche um Liebe und Verantwortung, um Schmerz und Verlassensein, um Religion, Gottesglaube und das Leben nach dem Tod.
Und dennoch ist »Café Finito« kein trauriges Buch. Nicht nur, weil es auch humorvoll gezeichnete Randfiguren gibt, wie die völlig gegensätzlichen Zwillingsschwestern Dorothea und Dorothee, die im selben Haus zwei Beerdigungsinstitute mit ebenso gegensätzlicher Philosophie betreiben.
Einfühlsam und atmosphärisch dicht gelingt es Volks, uns ihre Figuren, ihre unterschiedlichen Charaktere, ihre Aufarbeitung der Vergangenheit und ihre Angst vor der Zukunft nahezubringen. Und das, ohne jemals trübsinnig, kitschig oder pathetisch zu werden. Stattdessen durchzieht die Hoffnung auf Heilung das gesamte Buch, verkörpert durch Kristof, den Leiter der Trauergruppe, der sich nicht als Therapeut sieht, sondern als Fährmann, der »die Reisenden durch den Fluss der Trauer« navigiert, oder als »eine Hebamme, die die Trauernden durch die Wehen des Verlusts begleitet und zurück ins Leben holt«.
Das alles schildert Volks mit beeindruckendem sprachlichem Geschick, ob mit präzisen Berichten oder metaphorisch glänzenden Schilderungen. Ein tränenreiches Gespräch der Trauergruppe begleitet sie so:
»Der Wind hatte sich gelegt, und der Regen rann in Strömen an den Fenstern des alten Hauses hinab. Leises Ächzen zog durchs Gebälk. Es tut mir so leid, rauschte der Regen, so leid, so leid. Noch einmal, nur einmal, surrten die Fliegen im Netz, kein Mal ist kein Mal, lispelte die Spinne, ach, ach, ach, knarzten die Würmer im Holz, vergib mir, wisperte der Lufthauch, dann schlug der Luftzug die Tür zu. Der Regen verstummte vor Schreck.«
Auf Volks Friedhof entfaltet selbst eine Beerdigung poetische Kraft:
»Eine einzelne Blume loderte zwischen Kränzen, Gestecken und Sträußen. Eine feuerrote Lilie, eine Fackel, den kaltblütigen Himmel anzuzünden. Makellos blau sah er auf sie herab an diesem Tag im Mai, als die Erde sich auftat.«
Vor allem die letzte, buchstäblich fantastische Beerdigung, ein wilder, ausgelassener Día de Muertos, hat es in jeder Hinsicht in sich.
»Café Finito« ist ein Buch über die Trauer und über den Tod. Und ein Buch, das das Leben feiert. Oder mit Volks Worten, die sie Mira in den Mund legt:
»Auch wenn der Tod unbegreiflich blieb, war das Leben am Ende das größere Wunder.«
Sybil Volks: Café Finito
Bertelsmann Verlag, (Okt. 2025)
336 Seiten, Hardcover, € 22.00
Diese Rezension wurde verfasst von Wolfgang Mebs.