Caroline Wahl (Jahrgang 1995) hat ihren dritten Roman innerhalb von drei Jahren geschrieben. Nach ihrem Debüt „22 Bahnen“ (2023) und „Windstärke 17“ (2024) erschien am 28. August 2025 „Die Assistentin“ im Rowohlt Verlag.
Darin die Geschichte von Charlotte, die als Assistentin eines Verlegers in München eine neue Stelle antritt. Caroline Wahl hat nach ihrem Studium selbst in mehreren Verlagen, darunter auch dem Diogenes Verlag, gearbeitet.
Bleiben oder gehen – Vom Umgang mit einem narzisstischen Chef
Charlotte bewirbt sich auf Anraten ihrer Eltern auf eine Ausschreibung für eine Assistentinnen-Stelle bei einem „renommierten“ Verlag in München. Gleich im ersten Satz des ersten Kapitels ihres Romans stellt Caroline Wahl klar, dass das eine „riesengroße Fehlentscheidung war“. So weiß jede Leserin und jeder Leser von Anfang an Bescheid. Aber das nimmt dem Buch wider Erwarten nicht die Spannung. Ganz im Gegenteil. Dieser erzählerische Kniff, der sich durch das Buch zieht, ist eine erfrischende Note in der deutschen Literatur. Eine Vorwegnahme dessen, was Wahl dann in mehreren Schleifen zu erzählen hat. Anfangs hadere ich mit dieser Erzählweise, die jedoch nach und nach ihren selbstironischen Reiz entfaltet.
Hatte ich zuletzt Doris Knecht „Ja, Nein, Vielleicht“ gelesen und mich über die die Ebene des „Making-of“ eines Romans kritisch geäußert, entdecke ich bei Caroline Wahl den Charme der Erzähltechnik. Allerdings macht Wahl das auch von der ersten Seite an deutlich.
Charlotte, die Hauptfigur in „Die Assistentin“ möchte eigentlich Musik machen, aber das traut sie sich nicht zu. Lieber etwas Sicheres, Vernünftiges. Dazu kommt noch ihr Vaterkomplex, den sie hauptverantwortlich für ihre schlechten Lebensentscheidungen macht. Überhaupt kommen die Figuren in Caroline Wahls Roman durchgängig schlecht weg: egal ob es die Protagonistin selbst, ihr Gegenspieler der Verleger, ihre Eltern oder ihre Kolleginnen und Vorgesetzten sind. Einzig Bo, der „nicht oder noch nicht ihr Bo ist“, scheint sympathisch zu sein. Charlotte ist klug, ehrgeizig und leistungsorientiert. Diese eigentlich positiven Eigenschaften bieten jedoch in dem ungünstigen und ungesunden Klima des Verlages mit einem narzisstischen Chef den Nährboden für krankmachendes Arbeiten. Das spürt Charlotte, gibt aber nicht auf. Bis zum bitteren Ende. Aber dann wird doch noch alles gut.
Sexismus, Diskriminierung und Machtmissbrauch als männliche Tugenden Anno 2025
Was Caroline Wahl exemplarisch für die Verlagsbranche beschreibt, ist aber auch in anderen Wirtschaftszweigen zu Hause. Männer in Führungspositionen nutzen ihre Macht und ihren Einfluss, um Mitarbeitende zu knechten. Nicht erst seit Me too treiben sie ihr Unwesen in der Arbeitswelt und im Privatleben.
Sexismus, Diskriminierung und Machtmissbrauch sind in vielen männlichen Köpfen noch immer, auch im Jahre 2025, fest verankert und gesellschaftlich kaum sanktioniert. Das sind jedoch keine liebenswerten oder skurrilen Macken einiger Typen, sondern das ist handfeste psychische und körperliche Gewalt gegen Frauen.
Was in Wahls Schilderung der Verlagsarbeitswelt auch auffällt, ist die fehlende Solidarität der Frauen untereinander. Seien es Kolleginnen, die Personalchefin oder die Ehefrau des Verlegers, alle schauen eher weg als hin. Und auch Charlotte spielt dieses Spiel mit und betreibt Kolleginnen-Bashing.
So hat „Die Assistentin“ ein sehr ernstes, real existierendes Thema, das Caroline Wahl in einem Ton erzählt, der besonders ist:
„Sie fragt sich, ob es einen Moment gab, in dem es ihr allmählich dämmerte. Meistens gelangt sie dann zu dem Ergebnis, dass es nicht diesen Schuppen-von-den-Augen-fiel-Moment gab, dass aber die Bedienungsanleitung, die der frankophile Verleger liebevoll Manuel Maise (also nicht Manuel wie der Vorname, sondern wie das französische Wort für Handbuch) oder abgekürzt MM nannte und die die beiden neuen Assistentinnen sich gleich als erste Amtshandlung an ihrem ersten Tag ausdrucken sollten, um sie daraufhin zu inhalieren, die allmähliche Dämmerung einläutete.“ (S. 36)
Dieser Ton, ihre Figurenzeichnungen und die Dialoge gehören zu den großen Stärken des Romans.
Die Botschaft des Romans jedoch ist kritikwürdig: Charlotte, die Hauptfigur, passt sich an, spielt des Verlegers Spiel mit und kann am Ende nur die Flucht ergreifen, nicht ohne vorher schwer zu erkranken, aber danach geht es ihr ja wieder gut. Zweifelsohne wird der Verleger weiter machen und sich einen Teufel scheren. Das ist keine gute Botschaft für die Frauen in unserem Land und in der Welt, denn es scheint so, dass sich Sexismus, Diskriminierung und Machtmissbrauch für die Männer weiter lohnen. Aber sei es drum, denn damit kann Mann nicht nur Verleger oder Priester werden, Mann kann sogar Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Und das sind (nicht nur für Frauen) wirklich sehr schlechte Nachrichten.
Caroline Wahl: Die Assistentin
Rowohlt, August 2025
368 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.