Philipp Tingler: Schöne Seelen

seele„… Effizienz ist bekanntlich das Erreichen eines maximalen Ergebnisses mit minimalem Aufwand. Wenn Patienten ihr Glück nach einer zweistündigen Nasen-Operation finden, ist eine jahrelange psychotherapeutische Behandlung wegen einer aus dem Nasenproblem resultierenden Depression, Zwangsstörung und sozialen Phobie verzichtbar, oder nicht?“ (S. 331/332)
Für den vermögenden und erfolgreichen Schriftsteller Oskar Canow gibt es einen Zusammenhang zwischen einer schönen Seele und seiner Hülle. Erst recht, wenn man es sich leisten kann.
Die Schönen und Reichen haben vermutlich das beste Leben, wenn nicht gerade der Haussegen schief hängt. Kurz nach dem Tod der Schwiegermutter kriselt die Ehe seines Freundes. Viktor, ein routinierter Banker, stellt ihm seine ungewöhnliche Befreiungsstrategie als Win-win-Situation dar: Oskar soll als sein Stellvertreter den Therapeuten Doktor Hockstädder konsultieren. Und während er Viktors Eheprobleme bespricht, will der Freund die Freiräume heimlich für seine Theaterproben nutzen. Der Austausch mit dem Startherapeuten sei doch einfach ideal für die Recherche zukünftiger Bücher.
Eine Zeitlang macht Oskar die Analyse Spaß, bis er aus Versehen die ihm angedachte Rolle verlässt und seine eigene Seele im Fokus steht.
Der Berliner Erfolgsautor Philipp Tingler schreibt in seinem aktuellen Buch über die Lebensweise und -anschauungen der Reichen. Hierfür verwendet er den Erzählstil der kleinen Schritte. Mal verweilt er, um zu schwelgen, mal erlaubt er sich Ausuferungen und barocke Verzierungen.
Eloquent führt er den Leser zu einem üppigen Buffet, das viele Leserwünsche erfüllt: genaue Beschreibung der gehobenen Gesellschaft, Charaktere mit absonderlichen Namen und Verhaltensweisen sowie kluge Lebensbetrachtungen. Das Ganze ist mit psychologischem Fachwissen und witzigen Dialogen gewürzt. In loser Folge werden Häppchen gereicht, bei denen pointierte Formulierungen wie die begehrten Fundstücke beim Öffnen von Austern anmuten. Die Kehrseite dieser Detailfülle zeigt eine überschaubare Handlung.
Am Ende bleiben eine konkrete Vorstellung, wie das Leben eines ziemlich reichen Menschen aussehen könnte und einige Aha-Momente.

Philipp Tingler: Schöne Seelen.
Kein & Aber, September 2015.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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