Paolo Giordanos neuer Roman „Tasmanien“ hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Selten habe ich mich in einem Buch so sehr wiedergefunden und erkannt gefühlt.
Der Ich-Erzähler ist auf der Flucht vor sich selbst. Er steckt in einer tiefen Sinnkrise, ausgelöst durch die Erklärung seiner Frau, sich nicht weiter den zermürbenden Versuchen einer künstlichen Befruchtung zu unterziehen. Ausgehend von diesem Ereignis erzählt er von seinem Leben und von seiner Suche nach einem Thema, das ihn trägt. Er stürzt sich in verschiedene Projekte: Er beschäftigt sich mit Klimaveränderungen und ihren Folgen, er unterstützt Freunde in ihren Beziehungsproblemen und er greift ein bis dahin vernachlässigtes Buchprojekt über die Atombombe und die Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki wieder auf. Bei allen diesen Unternehmungen wirkt er ziellos und unzufrieden, wie einer, der sucht, aber nicht weiß, wonach. Paolo Giordanos Protagonist ist einer, der beobachtet, kommentiert, aber nicht handelt. Der mich in einen Strudel der Ausweglosigkeit zieht und am Ende doch einen Rettungsring bereithält.
Fast nebenbei ist der Roman ein Abriss der Zeit zwischen 2015 und 2021, denn der Protagonist reflektiert über sein Erleben der Ereignisse und gibt durch die Einbettung von Klimakonferenz, Flüchtlingskrise und Terroranschlägen dem Bericht eine zeitliche Struktur. Paolo Giordano lässt seinen Erzähler zudem eine Fülle von Fakten zusammentragen, indem dieser Informationen aus Büchern und Studien zusammenfasst oder mit Kollegen und Zeitzeugen spricht. Für mich waren vor allem die Augenzeugenberichte nach den Abwürfen der Atombomben sehr berührend.
Es gibt verschiedene Parallelen zwischen dem Autor und seiner Erzählfigur. Beide tragen denselben Namen und sind im selben Jahr in Turin geboren. Wie Paolo Giordano selbst hat auch der Paolo im Buch zunächst Physik studiert, bevor er als Schriftsteller und Journalist bekannt wurde. Das ist bestimmt kein Zufall und lässt mich vermuten, dass vieles, was den Ich-Erzähler umtreibt, auch den Autor Paolo Giordano beschäftigt. Letzteres gilt sicher auch für den letzten Satz des Romans, und ich weiß einmal mehr, dass mich vor allem die Geschichten berühren, die mich zum Weinen bringen.
Paolo Giordano: Tasmanien
Aus dem Italienischen übersetzt von Barbara Kleiner
Suhrkamp Verlag, August 2023.
335 Seiten, Hardcover, 25,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.