Nick Martell: Das Königreich der Lügen

Willkommen in Kessel, einem Stadtstaat, einem Königreich, dem Heim vieler Menschen. Dass hier die Ungerechtigkeit Blüten treibt, dass der Adel in Saus und Braus lebt, dass intrigiert und manipuliert, gelogen und verraten wird, wissen alle.

Einst, bei Gründung des Königreiches, hat man ganz bewusst neben dem Herrscher einen Königmann gestellt. Eine Person, die den Arbeitern, Händlern und denen, denen es nicht so gut geht, ein Sprachrohr sein sollte, aber auch ein Freund und Leibwächter des Herrschenden.

Früher war mein Vater eben jener Königmann, bis er den Kronprinzen erschoss. Gestatten, dass ich mich vorstelle? Mikael Königmann der Name, seit der Tat meines Vaters als Verräter gebrandmarkt, gemieden und geschnitten. Dass ich weiß, dass mein Vater unschuldig war, hilft nicht viel, hat er doch vor Gericht auf schuldig plädiert. Seitdem versuchen meine Geschwister und ich nur eines – nicht aufzufallen, zu überleben. Gar nicht einfach in einer belagerten Stadt, die von Rebellen mit Terror überzogen wird.

Als ein Adeliger mir seine Hilfe anbietet, wage ich es, mich dem Adel wieder zu nähern – sehr zur Freude des jüngeren Prinzen, der nichts Besseres weiß, als mich gnadenlos zu triezen und zu provozieren. Ich weiß, dass er mich tot sehen will – doch dann lerne ich einen Söldner kennen, komme wohl gehüteten Geheimnissen auf die Spur und werde mit der rauchenden Pistole auf dem königlichen Balkon entdeckt – der Monarch liegt zwei Stockwerke tiefer, mit weggeschossenem Schädel …

Der Beginn einer weiteren Fantasy-Trilogie liegt vor mir. Blanvalet wird die beiden weiteren Bände in recht kurzem, zwei-monatlichen Abstand bringen, sodass sich der Leser auf ein baldiges Wiedersehen mit den Figuren freuen darf. Dies vorausgeschickt zum Roman. Wir lernen unseren Erzähler vor Gericht kennen, als ihm das Urteil – Köpfen auf den Stufen der Kirche – verkündet wird. In der Retrospektive erfahren wir in der Folge dann, wie es zu dieser Situation kam.

Recht oberflächliche Auagestaltung

Die Handlungsbühne per se – also die Stadt Kessel – bleibt in ihrer Ausgestaltung recht oberflächlich. Dank der dem Buch im Vorsatz mitgegebenen Karte, können wir zumindest ein klein wenig die Stadtteile zuordnen.

Die Situation – eine belagerte Stadt, die von Terroranschlägen der Rebellen heimgesucht wird – nutzt der Verfasser dazu, uns die Atmosphäre der Metropole zu beschreiben. Die Belagerung als solche hinterlässt kaum Spuren – offensichtlich gibt es keine Nahrungsmittelknappheit. Interessant wurde es dann, als Martell ein klein wenig auf die politische Situation außerhalb der Stadt eingeht. Hier herrschen scheinbar übermächtige Söldnergruppen, es gibt konkurrierende Reiche, die sich offensichtlich wenig um Kessel kümmern.

Etwa ein Viertel der Menschen besitzt eine magische Kraft – hier Fabrikation genannt. Mit dieser können sie entweder Einfluss auf Wind oder Wasser nehmen, ihre Haut verhärten, Erinnerungen beeinflussen – sie sehen das Bild? Die Ausbildung dieser Kräfte, die ihren Nutzern im Gegenzug Erinnerungen stehlen, liegt in der Hand der Ordnungsmächte.

Melange aus Magie, Misstrauen und Lügen

In diese Melange aus Magie, Misstrauen und Lügen hat der Autor dann seinen Protagonisten gestellt. Dass dieser zu Beginn nicht eben sympathisch auf uns wirkt, sei erwähnt, dass er viele, zum Teil tragische Fehler macht, auch. So manches Mal muss Mikael der Zufall auf die Sprünge helfen, dennoch bietet sich das Bild, das sich abzeichnet, durchaus interessant an. Was passierte damals, beim ersten Mord, wer war der Täter, warum geschah die Tat und wieso bekannte sich der Vater schuldig?

Im Verlauf der Suche nach Aufklärung lernen wir die Machtverhältnisse im Stadtstaat kennen, erfahren mehr über die Adeligen, aber auch das Leben der Bürgerlichen und versuchen zusammen mit unserem Erzähler aus den Indizien schlau zu werden. Das liest sich durchaus spannend und interessant, vermeidet wohl ganz bewusst unnötige Gewaltdarstellungen (Folterungen werden nur erwähnt, nicht gezeigt) und erinnert von Aufbau und Fragestellung an einen Kriminalplot in einem Fantasy-Setting, das an die Zeit Bonapartes erinnert.

Ich bin gespannt, wie Martell seine in sich zunächst abgeschlossene Handlung im nächsten Teil fortsetzen wird. Anknüpfungspunkte und offene Fragen gibt es genug, auch die Fokussierung auf die Stadt dürfte vielleicht fallen.

Nick Martell: Das Königreich der Lügen.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Urban Hofstetter.
Blanvalet, Januar 2023.
637 Seiten, Paperback, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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