Ildiko von Kürthy: Eine halbe Ewigkeit

Ich muss zugeben, ich hab ein bisschen kramen müssen bis ich „Mondscheintarif“ von Ildiko von Kürthy in einem der ziemlich vielen Bücherregale gefunden hatte, aber „das Haus verliert ja bekanntlich nichts“. 25 Jahre sind halt eine recht lange Zeit, aber es gibt so Romane, die entsorgt man eben nicht. Kurz reinlesen und man ist wieder à jour und mitten im Leben von Cora Hübsch, 30 ¾ Jahre alt und nicht wirklich mit sich und ihrem Leben zufrieden.

Jetzt, 25 Jahre später knüpft „Eine halbe Ewigkeit“ quasi nahtlos an Coras früheres Leben an. Herrlich amüsant, temporeich – manchmal hat man beim Lesen wirklich das Gefühl, einfach mal Luft holen zu müssen! Auch wenn man „Mondscheintarif“ damals vielleicht nicht gelesen hat oder sich nicht mehr erinnert, ist man schon auf den ersten Seiten mittendrin. Ildiko von Kürthy lässt die berühmten Bilder im Kopf von Anfang an entstehen – farbig, bunt, intensiv. Aber auch nachdenklich und berührend.  Eine 25 Jahre ältere Cora, wie sie ihrem früheren Leben ausgerechnet am Altpapiercontainer begegnet und sich in einem lange vergessenen Tagebuch  – eben „Mondscheintarif“, wie sie es damals bezeichnete – verliert.

Sie hat grade eh nichts Besseres vor, ihr Sohn, der jüngste ihrer drei Kinder, ist gemeinsam mit ihrem Mann unterwegs nach England, wo er ein Auslandsjahr verbringen wird –nicht mal zum Flughafen durfte sie die beiden begleiten. Sie ist einfach zu sentimental und nah am Wasser gebaut, wenn es um Abschiede geht. Und davon hatte sie in den letzten Jahren grade genug, immerhin sind alle Kinder kurz nacheinander flügge geworden und von zuhause ausgezogen. Hart für eine Glucken-Mutter wie Cora. Aber da muss sie nun durch. Irgendwie versuchen, mit der neuen Situation, der Leere zuhause klar zu kommen.

So leer bleibt es gar nicht in ihrem neuen Leben. Eigentlich sind es nur ein paar Tage, die wir hier erleben, aber es fühlt sich an wie eine lange Zeit. Soviel passiert in Coras Leben, nachdem sie – ebenfalls am Altpapiercontainer – eine Wanda trifft, die sie von einem Fotoauftrag bei Dreharbeiten kennt, und ihr grade so öde scheinendes Leben unerwartet neuen Schwung bekommt. Cora hat Zeit, lässt sich ein auf Wanda und ihre verrückte Clique, nimmt den Job der Hochzeitsfotografin an der Ostsee an, nachdem die Kollegin plötzlich abgesagt hat. Cora ist schließlich vom Fach – warum also nicht ein paar Tage in unterhaltsamer Gesellschaft an der Ostsee verbringen? Wir reisen fröhlich mit. Was als amüsante Unterhaltung begonnen hat, mit viel Schmunzeln über Ansichten und Erfahrungen aus dem Alltag, die man nur zu gut nachvollziehen kann, wird hier zu einem Roman, der plötzlich schwer wird.

Cora setzt sich mit ihrer Vergangenheit vor 25 Jahren auseinander, schonungslos vor sich selbst und schockierend für den Leser. Auslöser ist die Begegnung mit ihrer einstigen großen Liebe, Daniel, der zufällig eben genau da ein paar Tage Urlaub macht, wo Wanda und Ruth ihre Hochzeit feiern. Auf dem alten Gutshof, den Wanda geerbt hat und wo sie Ferienappartements anbietet. Die Begegnung mit Daniel ist es, die Cora viel abverlangt. Sehr offen und bewegend lässt Cora die Zeit Revue passieren. Was zwischen den Zeilen bisher immer wieder angeklungen war, wird jetzt ausgesprochen. Ein Geheimnis, das Cora 25 Jahre lang mit sich rumgetragen hat, wird offenbart. Das Leichte ist plötzlich verschwunden. Macht Ernstem Platz, das erst mal verarbeitet werden will.

Dennoch verliert „Eine halbe Ewigkeit“ nichts an Spannung und dem Drang weiterzulesen. Immer wieder aufgelockert durch die mehr oder weniger schräge Gesellschaft, in der Cora da feiert. Und immer mit der Frage: wie wird sich alles wenden?

Es lohnt sich, dran zu bleiben. Die Brücke über die 25 Jahre zwischen den beiden Romanen ist gut gebaut, stabil verankert und endet im Überraschenden.

Ildiko von Kürthy: Eine halbe Ewigkeit
Wunderlich, Dezember 2023
317 Seiten, Hardcover, 23,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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