Ich sitze mit meinem Buch in der Hand auf dem Hometrainer und schüttele mich vor Lachen. Stelle bei einem kurzen Blick über den Buchrand fest: Alle Achtung, schon 15 Km gefahren. Das muss man erst mal können, ein Buch zu schreiben, bei dessen Lektüre ich 15 km durchs Schlafzimmer düse, fast nebenbei. Horst Evers kann das.
Sein neuer Geschichtenband „Wer alles weiß, hat keine Ahnung“ ist sicherlich kein Ratgeber, aber ein bewährtes Hausmittel gegen Stimmungsschwankungen und aggressive Schübe. Bei mir sorgen seine Geschichten immer wieder für die zeitnahe Regeneration von guter Laune und Seelenfrieden.
So erfährt der geneigte Leser zum Beispiel, warum es sinnvoll ist, einen Doppelgänger zu haben oder wie man den flügge gewordenen Nachwuchs dazu bringt, mal wieder vorbei zu kommen – nach dieser Geschichte habe ich direkt meine Mutter angerufen.
Horst Evers beschreibt seinen Alltag und lässt den Leser an Beobachtungen, Verwirrungen und Fettnäpfchen teilhaben. Er ist der Mann mit dem Spiegel und immer wieder denke ich beim Lesen: ‚Ui, das bin ja ich, hoffentlich kriegt das keiner mit.‘ Selten kann ich so erfrischend über mich selbst lachen. Sei es, wenn er über die konsequente Erziehung der Tochter schreibt („Solange ihr euern Tisch über meine Füße stellt … erwarte ich klare Ansagen“) oder von engen Bergstraßen im Tessin, oder, wie man sich umsichtig verhält, wenn einem das Auto zugeparkt wurde. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle noch erwähnen, dass ich auch gerade ein Paar Schuhe suche und keine Ahnung habe, wo die hingeraten sein könnten.
Das Buch ist keine klassische Geschichtensammlung. Es ist genau genommen die Geschichte der Beobachtung eines Bau-Gerüstes und seiner Bewohner, von seiner Errichtung im März 2018 bis zur Errichtung eines weiteren Gerüstes im Juni 2020, als nämlich festgestellt wurde, dass das Gerüst selbst erheblich baufällig ist und abgesichert werden muss. Vom Fenster aus beobachtet der Autor, wie sich das scheinbar nutzlose Bauwerk mit Leben füllt – Galerie, Gerüstcafé. Biobauernstand. Wobei das Gerüst nur sporadisch auftritt, sozusagen als Gerüst für das Buch, als Zeitstrahl, auf welchem sich unzählige Alltagsbeobachtungen ansiedeln. Darunter auch immer wieder kurze und sehr kurze Betrachtungen über den Zeitgeist. Über Trump und die Bildzeitung oder über gute und schlechte Autofahrer, den BER, Alexa und die Bahn. Insgesamt kommt der Zeitgeist eher schlecht davon, aber es tut gut, wenn man drüber lachen kann. Auch wenn einem das Lachen gelegentlich im Halse stecken bleibt, etwa bei der Frage, worin die größere Gefahr für die Menschheit besteht: in künstlicher Intelligenz oder in natürlicher Dummheit.
Was gegen letztere auf jeden Fall hilft: Wenn man sich selbst nicht zu ernst nimmt. Das gelingt mit Horst Evers besonders gut. Deswegen habe ich auch noch ein paar Geschichten aufgespart, so für besondere Tage Man weiß ja nie.
Horst Evers: Wer alles weiß, hat keine Ahnung.
Rowohlt, Januar 2021.
240 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.