Emily Wilde beschäftigt sich an der Universität Cambridge mit Dryadologie, der Feenkunde. Aus diesem Grund begibt sie sich auf eine Forschungsreise nach Ljosland, eine Insel im hohen Norden. Dort will sie Feldstudien durchführen und ihre Erkenntnisse ein einer Enzyklopädie zusammenfassen. Vorerst hält sie ihre Erlebnisse in einem Tagebuch fest, dem vorliegenden Roman. Ljosland präsentiert sich landschaftlich karg, kalt, von einer bizarren Schönheit. Die Menschen begegnen Emily mit einer Mischung aus Neugier und Zurückhaltung.
Sie kommt mit ihrem spröden Naturell nicht besonders gut an bei ihnen. Tatsächlich gelingt es ihr besser, Kontakt zu einem Elf zu knüpfen, mit ihm zu plaudern und eine Freundschaft aufzubauen. Da taucht der Institutsleiter und ihr Vorgesetzter Wendell Bambleby auf, um an ihrer Arbeit zu partizipieren. Bambleby ist überirdisch schön, charmant und ein Ästhet, aber auch faul, launisch und schwer durchschaubar.
Über ihren neuen Feen-Freund findet Emily heraus, dass Bambleby ein verbannter irischer Feenfürst ist, der verzweifelt nach einer Tür in seine ehemalige Heimat sucht. Feenreiche existieren unerkannt parallel zur Menschenwelt. Man kann sie nur durch spezielle Durchschlupfe bzw. „Türen“ betreten oder verlassen. Feen sind Naturgeister mit oft böser Absicht. Sie entführen auch Menschen in ihre Reiche, saugen sie mental aus, fressen sie teilweise sogar auf. Je nach dem, an welche Spezies man gerät. Emily und Bambleby vertragen sich im Grunde nicht schlecht, mögen einander in gewisser Weise. Sie entdecken im Dorf Hravnsvik einen Wechselbalg, ein Feenkind, das gegen ein Menschenbaby ausgetauscht wurde Es schreit grässlich, zaubert Trugbilder und quält seine Menscheneltern furchtbar.
Bald darauf werden zwei junge Frauen entführt. Bambleby und Emily machen sich auf in die Berge, um sie aus der Gewalt des „Kleinen Volkes“ zu befreien. Es gelingt ihnen zwar, die beiden zu zurückzubringen, aber die Magie der Feen ist gefährlich, ist man erst einmal mit ihnen in Berührung gekommen. Das muss Emily am eigenen Leib erfahren und die Dinge bekommen eine unheilvolle Dynamik.
„Enzyklopädie der Feen“ spielt in einer Zeit, in der es zwar Frachtschiffe und Kameras gibt, aber auch Gaslicht als Straßenbeleuchtung. Fawcett geleitet ihre Leser aus einer nachvollziehbaren historischen „Realität“ plausibel in eine von Feengesetzen geprägte „Anderswelt“.
Fazit: Sprachlich gelungene Geschichte für Leute, die gerne romantische, gruselige Fiction lesen.
Heather Fawcett: Emily Wildes Enzyklopädie der Feen.
Aus dem amerikanischen Englisch von Eva Kemper.
Fischer Tor, Juni 2023.
412 Seiten, Hardcover, 22,00€.
Diese Rezension wurde verfasst von Karina Luger.