Gary Shteyngart: Landpartie

Der US-amerikanische Journalist und Schriftsteller Gary Shteyngart (Jahrgang 1972) wurde mit dem Namen Igor Semyonowitsch Shteyngart in Leningrad (heute St. Petersburg) geboren und emigrierte Ende der 1970er Jahr mit seinen jüdisch russischen Eltern in die USA . Dort gilt er heute als Kultautor. Der Penguin Verlag veröffentlichte am 23. Mai 2022 seinen Roman „Landpartie“ in einer Übersetzung von Nikolaus Stingl.

In „Landpartie“ von Gary Shteyngart findet sich im Frühjahr 2020 eine kleine Gesellschaft von Intellektuellen und Künstlern auf der Flucht vor der Corona-Pandemie in der Nähe von New York City auf einem Landgut am Hudson ein. Der Besitz, der aus einem Haupthaus und fünf Holz-Bungalows (nach dem Vorbild einer kleinen russischen Kolonie) besteht, gehört dem aus Russland immigrierten Schriftsteller Alexander (Sasha) Borisovich Senderovsky. Hier lebt er gemeinsam mit seiner Frau Masha, einer Psychiaterin, und seiner (verhaltensgestörten) Adoptivtochter Natasha (Nat). Allerdings ist das Anwesen in die Jahre gekommen und überall zeigen sich Anzeichen des Verfalls. Senderovskys einstiger Ruhm ist verblasst, und er benötigt dringend eine Einnahmequelle, um seine Ausgaben zu decken. Diese erhofft sich Senderovsky von dem berühmten Schauspieler, den er neben seinen Freunden aus Highschoolzeiten in die Bungalow-Kolonie eingeladen hat. Nach und nach treffen die Gäste ein: Karen Cho, reiche Erfinderin einer erfolgreichen Dating-App, Vinod Metha, krebskranker außerordentlicher Ex-Professor und Koch, Ed Kim, wohlhabender Weltreisender und Dee Cameron, ehemalige Studentin von Senderovsky. Letztere trägt ihren Namen in Anspielung auf Boccaccios „Il Decamerone“ aus dem 14. Jahrhundert zu Zeiten der Pest. Shteyngart gibt diesen Figuren, Dee ausgenommen, ausländische (überwiegend asiatische) Wurzeln.

Bei guten Gesprächen, Essen und Trinken möchte Senderovsky mit seinen Freunden die Pandemie lebend überstehen. Der Schauspieler soll ihm helfen, sein Drehbuch für eine Serie beim Fernsehen unterzubringen. So beginnt ein Reigen von Erinnerungen, Sehnsüchten, Liebeleien und Verletzungen.

Gary Shteyngarts „Landpartie“ ist kein Corona-Pandemie-Roman an sich. Die Pandemie bildet -wie auch die Trump-Präsidentschaft- den bedrohlichen Hintergrund für die persönlichen Schicksale der Figuren in der Bungalow-Kolonie. Dabei bedient sich Shteyngart bei Klassikern der italienischen (Boccaccio) und russischen (Tschechow) Literatur. Er gliedert den Roman in Aufzüge wie in einem Theaterstück. In leichtem, stets von Humor getragenem Ton plaudert Gary Shteyngart seine Geschichte daher. Das ist zunächst für mich als Lesende amüsant und unterhaltsam wie z.B. die Beschreibung der Fahrkünste seines Protagonisten Senderovsky:

„Er war ein ausgesprochen schrecklicher Fahrer. Die halb leeren regionalen Straßen ermutigten ihn, den Motor seines robusten, aber wenig wendigen schwedischen Autos „hochzujagen“, und er betrachtete die gelben Streifen, die die Straßen zweiteilten, als Vorschläge, gerichtet an „weniger routinierte Fahrer“, wer immer das sein mochte. Weil er an Straßenmarkierungen und bestimmte Aspekte der Relativität nicht glaubte, hatte sich ihm die Vorstellung der unübersichtlichen Kurve nie erschlossen. (Seine Frau erlaubte ihm nicht mehr, mit dem gemeinsamen Kind an Bord zu fahren.)“ (S. 13)

Doch trägt dies nicht über die gesamte Länge des Romans. Da wird Shteyngarts Erzählen zu kleinteilig, geht es zu sehr in die Breite. Die Dialoge verlieren an Witz und Schärfe. Der Fortgang der Geschichte leidet unter einer nachlassenden Dynamik und eher kuriosen Einfällen Shteyngarts, wie die Privat-Aufführung des Tschechow-Stücks „Onkel Vanja“ für den todkranken Vinod.

Doch am Ende überzeugt mich Gary Shteyngart mit der in „Landpartie“ innewohnenden tröstlichen Vorstellung von Freundschaft, Zuversicht und einem Zuhause in Zeiten von Krisen und Kriegen.

Gary Shteyngart: Landpartie.
Aus dem Englischen übersetzt von Nikolaus Stingl.
Penguin Verlag, Mai 2022.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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