Die US-Amerikanerin Emma Cline (Jahrgang 1989) wurde 2016 für ihr Roman-Debüt „The Girls“ gefeiert. 2021 erschien eine Sammlung ihrer Kurzgeschichten unter dem Titel „Daddy“. Der Carl Hanser Verlag veröffentlichte am 24. Juli 2023 ihren zweiten Roman „Die Einladung“ in einer Übersetzung von Monika Baark.
Die Geschichte ist schnell erzählt: Alex, ein 22-jähriges Call- bzw. Escort-Girl, verbringt den Sommer mit dem Mitte 50-jährigen Simon in den Hamptons. Sie musste New York verlassen, da sie bei einigen Leuten Schulden hat und andere bestohlen und betrogen hat. Durch Zufall lernt sie Simon kennen, der sie in ihr Sommerhaus einlädt. Simon denkt, sie sei eine orientierungslose Studentin, die sich in New York einleben will.
Alex ist schmerzmittelabhängig und bedient sich an Simons Vorrat. Sie geniesst die Sommertage in stilvoller Langeweile auf Simons Kosten. Ab und zu nimmt Simon sie mit zu einer Party. Er selbst plant eine große Party zum Labor Day. Kurz vorher begeht Alex den Fehler, mit einem anderen Mann zu flirten. Außerdem verursacht sie einen Blechschaden an Simons Nobel-Auto. Simon schmeisst sie kurzerhand raus. Damit beginnt Alex’ Odyssee durch das Villenviertel der Hamptons. Sie glaubt fest daran, dass Simon seine Entscheidung bereut und sie beschließt, die sieben Tage bis zu seiner Party irgendwie zu überbrücken, um sich dann wieder mit ihm zu versöhnen. Derweil ist ihr der zwielichtige Dom, ein betrogener Kunde, auf den Fersen. Alex schnorrt sich bei Zufallsbekanntschaften durch, lügt und betrügt. Sie versteigt sich immer mehr in der Hoffnung, dass es eine Rückkehr zu Simon geben wird und dass sich damit ihr Leben ändert.
Emma Cline hat mit Alex eine Hauptfigur erdacht, die keine Sympathieträgerin ist, mit der ich als Lesende jedoch trotzdem bange und auf ein gutes Ende hoffe. Das hat etwas mit der Eindringlichkeit und Kraft zu tun, mit der Cline die Geschichte erzählt. Sie schlägt mich in ihren Bann, lässt mich nicht los. Denn ihre Protagonistin Alex macht immer weiter. Sie ist skrupellos auf der Suche nach einem bequemen, komfortablen Leben an der Seite eines wohlhabenden, besser noch reichen Mannes. Mit Simon scheint sie ihrem Ziel nahe zu kommen. Diesen Traum will sie nicht kampflos aufgeben und sich abservieren lassen. Auf dem Weg zurück zu Simon richtet sie jede Menge Unheil an. Allerdings machen es ihr die Schönen und Reichen auch einfach. Wie ein Chamäleon richtet sich Alex an den Erwartungen der anderen aus. Sie setzt ihren Körper, ihre Jugend, ihre Schönheit ein. Und die anderen fallen darauf herein. Mal ist es eine Reisegruppe, unter die sie sich mischt, dann gibt ihr ein netter Hausangestellter Obdach, zuletzt bricht sie mit einem psychisch labilen Jugendlichen in ein fremdes Poolhaus ein. Emma Cline entlarvt durch Alex’ Augen die Oberflächlichkeit und Arroganz der „Upper Class“ in ihrer Enklave aus Villa mit Pool, die sie mit Haus- bzw. Sicherheitsangestellten und Alarmanlagen gegen die Außenwelt verteidigen. Alex ist nur Gast in dieser Gesellschaft, so auch der englische Originaltitel des Romans „The Guest“. Jetzt ist sie unerwünscht, doch sie klammert sich in irrationaler Weise weiter daran, eingeladen zu sein:
„Es war nichts Schreckliches passiert, sagte sie sich, nichts Unüberwindbares – es war nur ein kurzer Traum gewesen, ein Riss im gewöhnlichen Gefüge, und nun war es erklärt, richtiggestellt. Sie hatte weitergemacht, ausgeharrt, weil ein Teil von ihr wusste, das alles wieder so werden könnte, wie es vorher war, und dass sie bis dahin nur zu überdauern brauchte.“ (S.276)
Emma Cline schafft es mit „Die Einladung“, dass ich den Kopf schüttele über so viel Dreistigkeit, Verlogenheit und Falschheit ihrer Hauptfigur und trotzdem bis zur letzten Seite weiterlese, um zu erfahren, wie die Geschichte für Alex ausgeht.
Emma Cline: Die Einladung.
Aus dem Englischen von Monika Baark.
Carl Hanser Verlag, Juli 2023.
320 Seiten, Gebunden, 26,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.