Die US-Amerikanerin Barbara Kingsolver (Jahrgang 1955) gewann mit ihrem Roman „Demon Copperhead“ 2023 den Pulitzer Prize for Fiction. Ein Buch, das begeisterte. Nun erschien am 12. Juni 2025 bei dtv ihr Roman „Die Unbehausten“, der allerdings schon 2018 im amerikanischen Original veröffentlicht wurde. Dirk van Gunsteren übernahm die Übersetzung aus dem Englischen.
„Die Unbehausten“ von Barbara Kingsolver – ein neuer alter Roman
Gleich vorweg das größte Manko dieses Romans von Barbara Kingsolver: es ist kein neuer, sondern ein alter Roman. Vor mittlerweile sieben Jahren im Original erschienen, verfasste Kingsolver ihn lange vor „Demon Copperhead“. Und er reicht nicht im mindesten an dieses Meisterwerk heran.
Die Geschichte beginnt mit einem schweren Schicksalsschlag für den Sohn der Familie Knox: seine Ehefrau Helene nimmt sich kurz nach der Geburt des Sohnes ihr Leben. Zeke steht mit dem Säugling Aldus („Dusty“) in Boston allein da. Willa Knox, Zekes Mutter, arbeitslos gewordene Journalistin, kämpft gerade mit dem Zerfall ihres Hauses in Vineland, New Jersey. Iano Tavoularis, ihr Mann, hat einen befristeten Dozentenjob an der Uni. Tochter Antigone („Tig“) ist nach einem abgebrochenen Studium zurück ist elterliche Nest geflüchtet. Und nicht zuletzt lebt der schwerkranke, pflegebedürftige Schwiegervater Nick mit im Haushalt. Es ist 2016, ein Politiker (genannt „das Megafon“) will Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden.
150 Jahre zuvor lebt Thatcher Greenwood mit seiner Frau Rose im Haus der Familie Knox, das schon damals erhebliche Baumängel aufweist. Seine Nachbarin Mary Treat, eine real existierende Naturforscherin, erweckt sein Interesse. Sie freunden sich an. Thatcher ist ein Anhänger der Theorien Charles Darwins und macht sich damit Feinde in der Gemeinde und der Schule, in der er Physik und Naturkunde unterrichtet. Captain Landis, der Gründer von Vineland, regiert mit strenger Hand.
Zu viele Themen, zu wenig Lebendigkeit, null Spannung
Barbara Kingsolver erzählt in „Die Unbehausten“ parallel die Geschichten der beiden Familien. Kapitel für Kapitel wechselt Kingsolver zwischen der Familie Tavoularis-Knox und der Familie Greenwood. Als Bindeglied zwischen den Geschichten dient das Haus, die baufällige viktorianische Villa. Der jeweils letzte Satz bzw. ein Wort des einen Kapitels dient als Überschrift für das nächste.
Was zunächst als interessantes und spannendes Experiment beginnt, entwickelt sich Seite um Seite zu einem immer zäheren Leseerlebnis. Die über 600 Seiten fordern von mir als Lesende eine Menge Geduld und Durchhaltevermögen.
Barbara Kingsolver schafft es in diesem Roman nicht (ganz im Gegensatz zu „Demon Copperhead“), ihren Figuren den nötigen Elan mit zu geben. Der Familie Knox als Repräsentanten der jetzigen US-amerikanischen Mittelschicht, die auf dem Weg zum finanziellen und sozialen Abstieg ist, fehlt das Charisma. Und die Greenwoods sind langweilige Spießer eines vergangenen Jahrhunderts. Die „echte“ Mary Treat hingegen hätte das Potenzial gehabt zur faszinierenden Hauptfigur, aber sie bleibt leider nur eine Nebendarstellerin.
Das Vor-Trumpsche Amerika aus „Die Unbehausten“ lässt Böses ahnen, ist aber inzwischen durch die zweite Amtszeit von Donald Trump von schlimmeren Gewissheiten überholt worden.
Barbara Kingsolver packt zu viel in dieses Buch. Es enthält eine überbordende Themenfülle, wie Amerikanische Geschichte, aktuelle Politik, Naturwissenschaften, Forschung, Gesellschaft, Familie und Soziales.
Die Dialoge zwischen den Personen sind randvoll mit Informationen und Theorien, aber so redet keine Familie beim Abendessen:
„»Quartalsweises Wachstum ist das Einzige, was Investoren interessiert«, sagte er gerade. »Der Drang nach Expansion ist der Motor der Wirtschaft. Das ist nun mal eine Tatsache.«
»Jedenfalls«, sagte Iano, »werden sie das schon hinkriegen. Der Kapitalismus wird grün werden.«
»Ach, Leute! Schon mal was von Biokapazität gehört? Das ist die pflanzliche und tierische Biomasse, die die Erde hervorbringt, eine messbare Menge. Und wisst ihr, wie viel davon wir verbrauchen?«
»Weniger als hundert Prozent, würde ich sagen.«
»Nein. Mehr! Jedes Jahr um fünfundzwanzig Prozent. Wie lange kann das gut gehen, verdammt?«“ (S. 95)
Barbara Kingsolvers „Die Unbehausten“ enttäuscht
So werden meine hohen Erwartungen an den „neuen“ alten Roman von Barbara Kingsolver enttäuscht. „Die Unbehausten“ mögen als Fingerübung für „Demon Copperhead“ durchgehen und in seinem Fahrwasser wahrscheinlich gut verkauft werden, als ebenso großer Roman taugen sie nicht. Kann man lesen, muss man aber nicht!
Barbara Kingsolver: Die Unbehausten.
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren.
dtv, 12. Juni 2025.
624 Seiten, Hardcover, 26,- Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.
