Andrea De Carlo: Das Traumtheater

Lassen Sie sich von dem lieblichen Titel und dem chillig anmutenden Cover keinesfalls täuschen. In diesem Roman erwartet Sie eine bitterböse, genial überzeichnete Gesellschaftssatire. Die wunderbar schrägen Charaktere sind selten Herr bzw. Frau der Lage. Getrieben von Geltungssucht, Gier, Komplexen und anderen niederen Beweggründen sorgt die Entdeckung eines antiken Theaters unter den ProtagonistInnen für eine Schlammschlacht erster Güte. Denn jeder will die archäologische Sensation für eigene Zwecke nutzen. Trashige Fernsehmoderatoren und großspurige Politiker stehen sich diesbezüglich in nichts nach. Dazu packt der Autor noch jede Menge italienisches Lokalkolorit und lässt die Emotionen in Grandezza-Manier hochkochen. Excellente!

Archäologischer Fund mit ungeahnten Folgen

Die 25-jährige Veronica del Muciaro arbeitet als rasende Reporterin für eine Trash-Sendung im Fernsehen. Als sie in einem Restaurant fast an einem Stück Brioche erstickt, eilt ihr ein gutaussehender Fremder zu Hilfe. Die penetrante Veronica muss den Vorfall sofort auf Social Media ausschlachten und verwickelt ihren Retter in ein Gespräch. In diesem stellt sich heraus, dass der Herr nicht nur ein waschechter Marchese ist, sondern auf seinem adligen Grundstück auch noch ein antikes Theater ausgegraben hat, von dem bislang noch niemand weiß. Die TV-Reporterin wittert ihre große Chance, sich endlich einmal seriös beweisen zu können – auch wenn ihre Methoden alles andere als seriös sind. Denn als Signor Guiscardo alles andere als begeistert auf eine mögliche Berichterstattung reagiert, lässt sie kurzerhand Kameradrohnen auf sein Grundstück los.

Seitenhiebe auf Politik und Medien

Wenig später weiß ganz Italien Bescheid. Und es entbrennt ein erbitterter Machtkampf um Zuständigkeiten und erhoffte touristische Einnahmequellen. Das Grundstück des Marchese liegt in der 5000 Einwohner Gemeinde Cosmarate, deren emotional aufbrausender Bürgermeister Bozzolato endlich aus dem Schatten der Provinzhauptstadt Suverso heraustreten möchte. Dort hat die Stadträtin und Vizebürgermeisterin Annalisa Sarmani jedoch selbst schon alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sich die Rechte des Theaters für ihre Stadt zu sichern. Auch wenn der tumbe Männerhaufen von Stadträten dafür erst überzeugt werden muss. Letztendlich melden sich auch noch Parteiführer zu Wort, um das Theater für ihren Wahlkampf zu instrumentalisieren. Denn ein antikes Theater in Norditalien, dass älter sein soll als die griechischen Theater – eine Sensation, die vor allem den Populisten in die Hände spielt. „Dieses antike italienische Theater ist eines der schönsten und bedeutendsten Symbole für unser Land! Hier können wir mit Händen greifen, wozu unsere Vorfahren schon fähig waren, als die Vorfahren jener deutschen und französischen Herrschaften, die uns in Europa Vorschriften machen wollen, noch in primitiven Hütten aus Lehm und Ästen wohnten, mitten im Wald!“ (S. 418)

Dumm nur, dass der ebenso modische wie exzentrische Marchese Guiscardo sich wenig kooperationsbereit zeigt und stattdessen über Bausünden und Umweltzerstörung wettert. Und offenbar keinerlei Anstalten macht, sich bestechen zu lassen. Die Dinge laufen aus dem Ruder.

Geniale Satire, gelungene Charaktere

Andrea De Carlo schafft es, dass wir seine durch und durch fehlerhaften Charaktere einfach lieben. Mit Hochgenuss und einer gepfefferten Prise Schadenfreude beobachten wir, wie sie von einem Fettnäpfchen ins nächste treten, um im großen Stil zu scheitern. Da sind die TV-Moderatorinnen, die ihre Gesprächspartner nie zu Wort kommen lassen und stattdessen eigene krude Theorien aufstellen, nur um das Publikum künstlich aufzuwiegeln. Da sind die Politiker, die sich in kongenialen Streitgesprächen gegenseitig an die Gurgel gehen – bisweilen durchaus wörtlich. Da ist der Bürgermeister, ein einziges emotionales Pulverfass, der von einer Taskforce einem kompletten Imagewandel unterzogen wird. Doch wie heißt es so schön: Man kriegt den Bauer aus dem Dorf, aber niemals das Dorf aus dem Bauern. Nur dass es in diesem Fall eher der Wolf im Schafspelz bzw. Kaschmirgarn ist.

Commedia all‘italiana

Trotz all der beißenden, überbordenden Situationskomik schafft es der in Mailand und Ligurien lebende Autor gekonnt, aktuelle Themen wie Rechtspopulismus, Umweltverschmutzung, Verschwörungstheorien, Gläserne Decke und Bürokratiewahnsinn in seinem Roman unterzubringen. Eigentlich sollte einem beim Lesen dabei das Lachen im Halse stecken bleiben. Tut es aber nicht. Dafür ist seine Prosa einfach zu gut! Allein die Aufzählung der Stadträtin, warum ihrer Ehe nach 20 Jahren jegliche Romantik abhandengekommen ist, ist einfach zum Niederknien komisch!

Das Traumtheater ist eine Commedia all’italiana, in der sich Dante‘sches Inferno an dreisten Egomanen mit pechschwarzem Humor vermischt. Wenn schon Satire, dann mit Grandezza!

Andrea De Carlo: Das Traumtheater.
Aus dem Englischen übersetzt von Petra Kaiser.
Diogenes, Juni 2023.
464 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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