Adler-Olsen, Holm, Bolther: Tote Seelen singen nicht

Millionen begeisterter Leser, die glaubten, die Kriminalreihe über Carl Mørck wäre nach zehn Fällen beendet, können sich freuen. Die Saga wird fortgesetzt.

Doch diesmal geht es nicht um ein Jahre zurückliegendes, unaufgeklärtes Verbrechen, sondern um aktuelle Morde, deren Spuren weit in die Vergangenheit zurückreichen. Als sich durch Zufall herausstellt, dass ein Notruf Jahre zuvor unerhört blieb und ein vermeintlicher Selbstmord keiner war, beginnt das Dezernat Q zu ermitteln.

Auch handelt es sich hier nicht um ein klassisches Who-done-it. Der Täter ist von Beginn an bekannt: Jakob Solvig, alias Gade, einst Ziel grausamen Mobbings durch vier Mitschüler an einer Musikschule. Im Prolog erscheint es zunächst, als sei er 1989 infolge der Misshandlungen ertrunken, doch schon auf Seite 45 hantiert er 34 Jahre später mit Sprengstoff.

Der Reiz der Geschichte liegt also nicht in der Frage, wer hinter den Taten steckt, sondern darin, wie lange es dauern wird, Jakob zu fassen, denn der ist auf einem Rachefeldzug. Dabei setzt das Autorentrio nicht auf eine Kette kunstvoll und möglichst abscheulich ausgeführter Hinrichtungen der einstigen Übeltäter. Jakob Solvig will seine Peiniger nicht ›einfach‹ töten, zunächst und in erster Linie will er sie ruinieren, so wie sie sein Leben ruiniert haben. Dennoch ist dieser Weg mit Leichen gepflastert.

Von Beginn an beobachten wir Jakob bei der Vorbereitung und Durchführung seiner Rachepläne, erfahren, was damals geschah, und ahnen bald, dass die im Prolog geschilderte Misshandlung nicht der eigentliche Auslöser war. Erst kurz vor dem Finale erfahren wir, warum Jakob, das Wunderkind mit goldener Kehle, nicht zu dem Gesangsstar wurde, den er sich erträumt hatte.

Parallel dazu ermittelt das Dezernat Q. Nach und nach werden die Zusammenhänge aufgedeckt, es kommt zu überraschenden Wendungen, man kommt Jakob immer näher, bis hin zu einem dramatischen, doppelten Finale.

Die AutorInnen greifen in »Tote Seelen singen nicht« auf Bewährtes und liebgewonnene Charaktere zurück. Allerdings ist Carl Mørck diesmal nur noch eine Randfigur. Zwar wird er vor allem von Assad schmerzlich vermisst und trägt auch zu den Ermittlungen bei, ist aber nach einem einjährigen Gefängnisaufenthalt und seiner Rehabilitation nicht ins Dezernat zurückgekehrt. Stattdessen – welch launige Idee der AutorInnen – schreibt er jetzt Bücher. Über seine Arbeit. Über die Fälle des Dezernats Q! Logisch, dass sein erstes Buch den Titel »Erbarmen« trägt.

Gordon hat die Liebe in eine andere Stadt verschlagen und wird erst spät Teil der Ermittlungen. Das Dezernat Q besteht also nur noch aus Assad und Rose. Und einer neuen Kollegin, Helena Henry, einer dänisch-französischen Ermittlerin, die eigentlich Teil der Abteilung für Organisiertes Verbrechen werden wollte, statt im Keller des Dezernats Q zu landen. Was die Geschichte nicht nur mit dem persönlichen Konflikt zwischen Helena und Rose bereichert, sondern vor allem dem »Prinzip Assad« dient: Wie er hat sie ein Geheimnis – von dem nur ein Zipfel gelüftet und, wie schon bei Assad, in den nachfolgenden Bänden enthüllt werden wird. Das gilt auch für einen zweiten Cliffhanger, die Morde an einer Bäckerin und einem Steuerberater, die auf mysteriöse Weise mit Helena Henrys Geheimnis verknüpft sind.

Die erste Episode der zweiten Staffel kann sich jedenfalls sehen lassen, auch wenn sie nicht die Spannung der meisten alten Bände entfaltet. Die auf die zentralen Figuren fokussierte Erzählweise setzt einen anderen, nicht weniger fesselnden Schwerpunkt. Jedes der 74 Kapitel trägt den Namen eines Protagonisten, aus dessen Perspektive die Ereignisse geschildert werden. Die Leser sind auf diese Weise immer ganz nah bei den verschiedenen Figuren, lesen ihre Gedanken, fühlen ihre Ängste. Insbesondere Jakobs Entwicklung wird psychologisch nachvollziehbar und überzeugend dargestellt.

Ob das Konzept der drei Autoren auch in Zukunft tragen wird, muss sich erst noch erweisen. Aber man darf gespannt sein.

Adler-Olsen, Holm, Bolther: Tote Seelen singen nicht.
Aus dem Dänischen übersetzt von Friederike Buchinger.
Penguin Verlag, Okt. 2025.
560 Seiten, Hardcover, 28,00 €.

Diese Rezension wurde verfasst von Wolfgang Mebs.

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