Klaus Brinkbäumer: Zeit der Abschiede: Sieben Jahre des Loslassens und Wiederfindens

Der Autor und Journalist Klaus Brinkbäumer hat seinem autobiografischen Buch den Titel Zeit der Abschiede gegeben. Seine Geschichte ist „… eine über Abschied, über Brüche, über den permanenten, täglichen Umbruch, über das Ende, das Sterben, das Leben.“ (S. 71 pdf-Datei)

Als Klaus Brinkbäumer beim letzten Atemzug seiner Mutter nicht da ist, ist er wütend und untröstlich zugleich. Er, das Mutterkind, verliert gleichzeitig ihre uneingeschränkte Liebe und Bestätigung. Nun wird er nicht mehr ihr herzallerliebster Sohn und Held sein. Kann man noch Sohn sein, wenn die Mutter verstorben ist? Kann man sich noch als Sohn fühlen, wenn man am Tag X in die Reihe der ältesten Generation gerückt ist? Wenn zum Beispiel die anderen Lebensrollen wie Ehemann, Vater und Großvater den Alltag bestimmen?

An einer Stelle zitiert er Helen Macdonald, die in ihrem Buch H is for Hawk geschrieben hat: „Es gibt eine Zeit im Leben, in der man erwartet, dass die Welt immer voller neuer Dinge ist. Und dann kommt der Tag, an dem uns klar wird, dass es überhaupt nicht so sein wird. Wir sehen, dass das Leben zu einem Ding aus Löchern wird. Aus Abwesenheiten. Verlusten.“ (Aus Teil II. Die Zeit, die bleibt, S. 180 pdf-Datei)

Genaugenommen ist jeder Tag in viele Abschiede aufgeteilt. Beim Aufstehen begrüßt man den Morgen – mehr oder weniger – und dann plötzlich ist der Morgen weg, weil die Tagesmitte angebrochen ist. Und kaum hat man die Mittagszeit verinnerlicht, geht er in den Nachmittag, den Abend und schließlich in die Nacht über. Das Vergehen der Zeit fühlt jeder anders. Es ticken die Sekunden, Minuten, Stunden. Dann Tage, Wochen, Monate, Jahreszeiten. Jahre, Jahrzehnte vergehen und unterwegs waren Wegbegleiter, Freunde, Familienangehörige in der Nähe. Der eine geht, der andere kommt. Und wäre da nicht der Verlust von Bezugspersonen und geliebten Menschen, wäre die Routine der Neuanfänge ein schläfrig machender Prozess, der gradlinig auf den eigenen bestimmten Zeitpunkt zuläuft, den letzten Atemzug, den letzten Gedanken.

Der Abschied von seiner Mutter, beginnend mit ihrer Demenz, stürzt den Autoren in eine tiefe Trauer. Sieben Jahre lang dauerte sie und wurde in einem Buch verarbeitet, das so viel mehr ist als eine Grabrede. Dies kann man unter anderen in seinem klaren Schreibstil ausmachen. Klaus Brinkbäumers Sprache variiert, mal ist sie analytisch, wenn die Erkenntnisse namhafter Künstler aufgegriffen werden und in das Für und Wider von Thesen einfließen. An anderen Stellen spürt man sein Herzblut, wenn er über seinen Schmerz schreibt. Episoden und Geschichten von seiner Familie, seinen Angehörigen und Bekannten fließen zusammen, sodass ein großes Wimmelbild entsteht. Es ist alles drin, was das Leben so bietet: vom Glück bis zur Trauer.

Und wenn das Leben eines Tages zu einem löchrigen Ding geworden ist, kann es immer noch eine Weile halten und die eine oder andere Füllung bekommen. Der Autor findet unter anderem Halt bei seinem kleinen Sohn Alexej, der ihn voll und ganz in Anspruch nimmt. Die eine, nicht ersetzbare Lücke ist zwar da, aber in greifbarer Nähe sind andere Wegbegleiter. Auf diese Weise schenkt der Autor sich selbst Trost und seiner geneigten Leserschaft, eine kurzweilige, erkenntnisreiche Lektüre, aus der man reich beschenkt wieder heraustritt. Denn „Morgen wird, was jetzt „jetzt“ ist, vergangen sein.“ (S. 188 pdf-Datei)

Klaus Brinkbäumer: Zeit der Abschiede: Sieben Jahre des Loslassens und Wiederfindens
C.H. Beck, September 2025
208 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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