Bereits als Jugendlicher schrieb Truman Capote Kurzgeschichten.
Mit „Frühstück bei Tiffany“ erreichte der Autor Weltruhm.
„Andere Stimmen, andere Räume“ ist Capotes erster Roman. Er handelt vom Erwachsenwerden des jungen Joel Knox.
Capote verarbeitet darin seine eigene homosexuelle Veranlagung.
Als das Buch 1948 veröffentlicht wurde, sorgte es nicht nur in den USA für Schlagzeilen, sondern später auch in Europa.
Durch Capotes eindringlichen plastischen Blick findet man sich als Leser sofort mittendrin im Geschehen.
Der dreizehnjährige Joel Knox muss nach dem Tod seiner Mutter seine Heimat verlassen, um fortan in Alabama bei seinem Vater zu wohnen.
Das Leben, das ihn in Alabama erwartet, ist völlig anders, als er es bislang aus New Orleans kennt: Skullys Landing liegt abgeschieden und ohne Radio, Kino, Comics, scheinbar abgetrennt von der Restwelt. Über dem düsteren, baufälligen Haus von Joels Vater und seinen anderen Bewohnern liegt eine ihm fremde Melancholie.
Zu seiner mürrischen Stiefmutter Miss Amy findet Joel keinen richtigen Zugang.
Der viel ältere Vetter Randolph spricht dem Alkohol zu und fühlt sich im Dunkeln am wohlsten. Später macht Joel seine ersten homosexuellen Erfahrungen mit ihm.
Seinen Vater, Mister Sansom, bekommt Joel lange nicht zu Gesicht, obwohl er sich sehnlichst wünscht, ihn endlich kennenzulernen.
So stellt Joel sich den Vater als einen wunderbaren Menschen vor, wird aber bitter enttäuscht. – Der Vater ist ein bettlägeriger, kranker Mann. Ab jetzt füttert Joel ihn und liest ihm vor.
In seiner Freundschaft zu dem Mädchen Idabel, die viel lieber ein Junge wäre, spiegelt sich Joels sexuelle Widersprüchlichkeit.
Die Erwachsenenwelt erscheint dem Heranwachsenden fremd und unzugänglich. So träumt er sich in andere Räume in denen er seine Sehnsüchte stillt.
Was ist Wirklichkeit, was Fantasie? – Joel strauchelt über seine Wahrnehmungen, durch die imaginäre Figuren und Ereignisse geistern. Er erzählt davon in einer Ernsthaftigkeit, dass er alles selbst für real hält.
Es ist eine eigentümliche Faszination, die Capotes Erzählstil auch heute noch auslöst. – Ob es die vor Leben strotzende Natur oder Gefühlsbeschreibungen Joels sind, denen immer etwas Bedrückendes, Unwirkliches anhaftet; ob es der Hauch von Morbidität ist, der über dem Haus in Alabama schwelt – die Zeilen entfachen einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Sicher trägt auch die treffliche Übersetzung von Heidi Zerning dazu bei, die u. a. den Südstaatenslang in den Dialogen der Figuren überaus prägnant nachempfunden hat.
Truman Capote: Andere Stimmen, andere Räume (1948).
Kein & Aber, Mai 2016.
256 Seiten, Taschenbuch, 12,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.
Schöne Rezension! Von Capote habe ich „Sommerdiebe“ gelesen, das als Manuskript (angeblich) erst nach seinem Tod aufgetaucht ist. 2007 war das glaub ich, aber ich weiß noch, dass ich diese eigentümliche Faszination ebenfalls gespürt habe. Ich habe mir immer mal vorgenommen, sein wohl bekanntestes Werk, „Kaltblütig“ endlich mal zu lesen, aber bisher nicht geschafft.
Andreas Schröter
Danke 🙂 Genau das ist es doch, was große Literatur ausmacht. „Kaltblütig“ soll ja auf Tatsachen beruhen. Lohnt sich bestimmt, das zu lesen. „Sommerdiebe“ wird übrigens im September von Kein & Aber neu aufgelegt
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