Thanatos ist der griechische Gott des sanften, natürlichen Todes. In Tom Hillenbrands dritten Band der Hologrammatica-Reihe geht es genau darum: um das Leben nach dem Tod beziehungsweise die Möglichkeit eines ewigen Lebens durch den Einsatz von KI. Was wäre, wenn wir unser Gehirn digitalisieren und in gesunde, junge Körper verpflanzen könnten? Wäre dadurch Unsterblichkeit möglich? Ist diese überhaupt erstrebenswert?
Damit befasst sich Roman, der in der nahen Zukunft spielt. Genauer im Wien des Jahres 2095. Die Welt ist voll von Hologrammen, Klonen, Cogits, Digits, menschlichen „Gefäßen“. Realität und künstliches Abbild verschwimmen zusehends. Die Klima-KI „Aether“ hat sich selbstständig gemacht und wenige Jahre zuvor zum digitalen Zusammenbruch der Gesellschaft geführt. Einigen Verschwörungstheorien zufolge sitzt sie nun im Weltall und plant von dort, die Welt neu zu gestalten. Gleichzeitig ist der Planet ein unwirtlicher Platz geworden, da der Klimawandel nicht aufgehalten werden konnte. Sibirien ist der neue Place-to-be, während andere Weltzonen schlicht unbewohnbar geworden sind, da die Temperaturen regelmäßig über 50 Grad klettern. All das schildert der Autor erschreckend nachvollziehbar und glaubhaft.
Unsterblich durch KI?
Der deutsche Autor Tom Hillenbrand entwirft hier das Bild einer glaubhaften Dystopie, die uns näher ist, als wir denken. Anti-Aging war gestern, heute ist „Longevity“ angesagt. Wir bewegen wir uns schon selbstverständlich in Metaversen, optimieren uns via Filter und KI-gestützten Systemen in der digitalen Welt. Verrückte Tech-Millionäre wie Brian Johnsen geben Millionen dafür aus, sich selbst zu optimieren vom Blutplasma bis zur Gentherapie.
Auch wer die beiden voran gegangenen Bände der Hologrammatica-Reihe nicht gelesen hat, findet sich in der dystopischen Science-Fiction Welt des Autors schnell zurecht. Es ist jedoch Aufmerksamkeit erforderlich, um all die parallelen Handlungsstränge der Protagonisten nachzuverfolgen. Da ist der Wiener Kommissar Landauer, der zwei identisch aussehende weibliche Leichen vor sich liegen hat. Da gibt es die „Deatherin“ Stasja, die ihr digitalisiertes Gehirn ständig in neue Gefäße uploaded und sich dann umbringt. Sie will herausfinden, ob es auf der anderen Seite wirklich etwas gibt. Die Nobelpreisträgerin und Physikerin Sahana geistert auf einem Wissenschaftskongress durch England, das ihr merkwürdig verändert erscheint. In einer Anomalie über Knossos, einer Art Schutzschild, sollen Außerirdische leben. Und dann gibt es noch Aether, eine künstliche Klima-KI, die sich einst verselbstständigte.
Science Fiction, der zum Nachdenken anregt
Wie hängt all dies zusammen? Ist die KI den Menschen feindlich oder freundlich gesinnt? Muss der Mensch, der seinen eigenen Planeten zerstört hat, nicht am ehesten vor sich selbst beschützt werden? Es sind die großen Fragen, die Tom Hillenbrand so kühn wie selbstverständlich in seinem Science Fiction Thriller abhandelt. Ein ebenso spannendes, wie zum Nachdenken anregendes Buch. Der Mensch mag künstliche Intelligenz erschaffen und den Weltall erobert haben, doch das größte Rätsel der Geschichte der Menschheit – was passiert nach dem Tod – bleibt ungelöst. Gleichzeitig ist das Rätsel des Todes untrennbar mit dem verbunden, was uns im Leben ausmacht und wichtig erscheint. Eine Materie mit reichlich Raum für eine mögliche Fortsetzung der Buchreihe.
Tom Hillenbrand: Thanatopia.
Kiepenheuer & Witsch, März 2025.
384 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.