Tina Ger (Jahrgang 1976) ist freie Autorin. Ihr Roman „Das Angeln von Piranhas“ landete 2018 auf der Longlist des Blogbuster-Preises der Frankfurter Buchmesse. Der Berliner fineBooks Verlag von Alexander Broicher hat das Buch am 6. September 2019 herausgegeben.
Darin lebt der 37jährige Komponist Luca Till mit seiner Frau Johanna und seinen beiden Kindern Katinka und Aljosha in Berlin. Luca ist unzufrieden mit seinem Leben, mit dem Alltagstrott, mit seinem Beruf. Er langweilt sich mit Johanna und den Kindern. Dann lernt er die Brasilianerin Yara in seinem Stammcafé kennen. Sie arbeitet dort als Kellnerin. Luca flirtet mit ihr, doch zunächst weist sie ihn ab. Irgendwann verbringen sie dann doch eine Nacht in einem Hotel miteinander. Als er nach Hause kommt, erfährt er, dass zwei Nachbarskinder umgekommen sind. Man fand sie tot in der Kirche der Gemeinde „United for God“. Auch Lucas Kinder besuchen dort eine Spielgruppe. Doch Luca kann nur noch an Yara denken. Er versucht, sie wieder zu finden. Aber offenbar ist sie zurück nach Brasilien gereist. Von Johanna erfährt Luca, dass Yara ebenfalls Mitglied von „United for God“ ist. Luca muss Yara finden. Er beschließt, ihr nach Fortaleza, ihrem Heimatort in Brasilien, zu folgen. Johanna bleibt ratlos und gekränkt in Berlin zurück. In Fortaleza setzt Luca seine Suche nach Yara wie besessen fort. Außerdem will er unbedingt herausfinden, ob Yara etwas mit dem Verbrechen in Berlin zu tun hat. Yaras Familie und ihre brasilianischen Verwandten schicken ihn von Hinz nach Kunz. Er findet Yara nicht und versinkt immer tiefer in einem Sumpf aus Alkohol und Sex, für den er sich bezahlen lässt. Schließlich landet er im Mato Grosso, im Pantanal. Langsam scheint er dort im Zentrum Brasiliens, seine Sehnsucht und sein Begehren nach Yara zu überwinden. Bis Yara eines Abends in seiner Hütte sitzt.
Tina Ger hat mit „Das Angeln der Piranhas“ eine Geschichte geschrieben, die mich als Lesende gleichzeitig fasziniert und abstößt. Ihr Protagonist Luca ist ein egoistischer, selbstverliebter und naiver Typ, der keine Sympathien aufkommen lässt. Und Yara ist Sehnsucht und Verderben zugleich. Gers Hauptfiguren fühlen und handeln rücksichtslos und extrem. Da gibt es kein rationales Abwägen, keine Planung, keine Skrupel. Da sind nur Gefühl und Trieb. Die Schauplätze Berlin, Fortaleza und das Pantanal sind dazu gut gewählt: eiskalt und feuchtheiß.
Aber es gibt Schwachstellen in der Geschichte: so bleibt die Verbindung der Gemeinde „United for God“ zu dem Verbrechen an den Nachbarskindern im Unklaren. Auch das Verbrechen selbst nehme ich als Fremdkörper im Text wahr. Oder Tina Ger erzählt im zweiten Teil des Buches Lucas Geschichte in Fortaleza rückwärts, vom Tiefpunkt zum Aufbruch. Warum? Es erschließt sich mir nicht. Vielleicht geht es ihr darum, mit Lesegewohnheiten zu brechen.
Gers Sprache ist dramatisch-theatralisch, was ihr einen unnatürlichen, aufgesetzten Ton verleiht: „In den Sekunden, die verstreichen, fügt das Schicksal unserer Vernichtung ein neues Kapitel hinzu.“ (S. 216)
Ich hätte mir mehr sprachliche Feinheiten und Raffinesse gewünscht statt oft gelesener Plattitüden.
Und trotzdem fasziniert Tina Gers „Das Angeln von Piranhas“ vor allem durch den Extremismus ihrer Figuren. Wer wollte nicht schon mal sein Leben gründlich verändern, ausbrechen, von vorne anfangen? Luca wagt dies mit aller Konsequenz und deshalb folgt man ihm als Lesende, obwohl man diesen Weg niemals selbst eingeschlagen hätte.
Da fordern Yaras Unabhängigkeit und ihr Freiheitsdrang von mir Bewunderung ein. Ihre kaltschnäuzige und freche Art jedoch fördert meine tiefe Abneigung gegen diese Figur. So setzt Tina Ger ihre Leserinnen und Leser einem ständigen Wechselbad zwischen Faszination und Ablehnung aus. Und man ahnt, dass ihr Roman kein gutes Ende nehmen wird.
„Das Angeln von Piranhas“ ist wie eine Abenteuerreise ohne Rückflug. Lesenswert trotz einiger Schwächen.
Tina Ger: Das Angeln von Piranhas.
fineBooks, September 2019.
248 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.