Kate Elizabeth Russell: Meine dunkle Vanessa

An der Browick Highschool verführt der Literaturprofessor Jacob Strane seine Schülerin Vanessa Wyw. Wir schreiben das Jahr 2001. Strane ist zu diesem Zeitpunkt 42, Vanessa ist 15. Suggestiv und unglaublich manipulativ zieht er sie in seinen Bann. Er lobt ihre Gedichte, stößt sie einmal von sich und beachtet sie nicht, dann aber holt er sie wieder zu sich heran. Er macht sie langsam gefügig durch Aufmerksamkeit und indem er ihr sagt, sie sei etwas ganz Besonderes. Es verbände sie eine dunkle Romantik. Immer eindeutiger tritt zu Tage, wohin die Reise geht. Er gibt ihr z.B. „Lolita“ zu lesen, sagt ihr, ihr Haar habe die Farbe eines Ahornblattes im Herbst, berührt sie, indem er seine Hand auf ihr Knie legt. Vanessa hat keine Freunde. Sie bleibt eher für sich und ist in sexuellen Dingen ahnungslos. In Browick wohnt sie im Internat. Strane und sie begegnen einander unweigerlich täglich auf dem Campus. Erst zufällig, dann sucht sie ihn gezielt. Mehrmals möchte man ihr zurufen: „Pass auf, Mädchen! Der Kerl ist sowas von gar nicht gut für dich! Glaub ihm kein Wort!“

Um ihm zu gefallen und im Glauben, er liebe sie abgöttisch, legt sie das Verhalten an den Tag, das Strane von ihr erwartet. Das missbilligende Heben seiner Augenbrauen z.B. lässt sie schon seinen Erwartungen gemäß handeln. Als Leser verfolgt man gebannt die geschilderten Ereignisse. Es schleicht sich auch hin und wieder die Frage ein, inwieweit Vanessa eine gewisse Mitschuld trifft. Strane gibt vor, gegen seine Pädophilie zu kämpfen. Er kann nur mit ganz jungen Mädchen schlafen und projiziert seine Sehnsüchte auf Vanessa, die sie erfüllt, um ihn nicht zu vergraulen. Sie lässt ihn in dem Glauben, was vor sich geht, gefalle ihr auch. Er fragt sie NACH jeder Handlung, ob seine Übergriffe nicht zu viel für sie seien. Sie verneint jedes Mal. Er glaubt in ihr Abgründe zu sehen, die da nicht sind. Im Prinzip schaut er in seine eigene Dunkelheit.

Ein fatales Spiel. Weiterlesen

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Karin Kalisa: Bergsalz

Franziska Heberle, alleinstehende Witwe aus dem Allgäu, lädt spontan ihre Nachbarin Johanna, ebenfalls alleinstehende Witwe, zum Mittagessen ein, als diese bei ihr klingelt, um sich Mehl auszuborgen. Elsbeth, alleinstehende Witwe, klingelt wenig später bei Franzi, um sich ein Paket bei ihr abzuholen. Auch sie landet auf der Bank beim Küchentisch und wird bewirtet. Bald versammeln sich sämtliche alleinstehenden Witwen (oder-noch-nicht-ganz-Witwen mit pflegebedürftigen Ehemännern) also alle alten Frauen des Dorfes bei der einen oder der anderen, um gemeinsam zu kochen und zu essen. Weil die Küchentische nicht mehr alle fassen können, revitalisieren die Ladys die Küche des stillgelegten Gasthauses „Rössle“.

In besagtem „Rössle“ sind Flüchtlinge einquartiert. Auch sie werden in der „Offenen Küche“ mitbekocht, alle Vorbehalte werden ausgeräumt, alle Hürden überwunden. Märchenhaft oder unglaubwürdig – wie man es eben sehen will. Esma, eine Frau aus dem Nahen Osten, stößt zu der inzwischen unüberschaubaren Truppe und bringt einen orientalischen Touch ins Menü. Sie freundet sich mit Franzi an, nachdem sie gemeinsam aus einem Kübel Bad Reichenhaller Bergsalz gegessen haben. Aha. Daher kommt also der Titel. Weiterlesen

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Lida Winiewicz: Späte Gegend. Protokoll eines Lebens.

Lida Winiewicz schreibt am Klappentext ihres Buches: „Ich hatte einmal ein Haus im Mühlviertel. Meist stand es leer. Die Bäuerin von nebenan, die einen Schlüssel verwahrte, gestand eines Tages, schuldbewußt, sie säße oft in meiner Stube, wenn niemand da sei, allein, freue sich an der Stille und dächte an die Vergangenheit. Ich fragte nach Einzelheiten, sie antwortete. So entstand das Buch ‚Späte Gegend‘, eine Art Reisebericht aus einem fernen Land, zwei Autostunden von Wien.“

Christine, die oben genannte Bäuerin, wird 1910 geboren. Die Armut in der Familie ist beispiellos. Der Vater und die Brüder sind Steinmetze, sie fertigen Grabsteine, ohne Schutzbekleidung, die Mutter arbeitet beinahe rund um die Uhr, damit man über die Runden kommt. Dennoch haben die sechs Kinder z.B. keine Schuhe. Sie laufen barfuß und im Winter in Holzpantinen.

Im Alter von zehn Jahren muss Christine die geliebte Schule verlassen und „in Dienst“ gehen, damit zuhause ein Esser weniger am Tisch sitzt. Bei ihren ersten Dienstherren bekommt sie keinen Lohn, nur Kost und Logis sowie zwei Hemden und zwei Schürzen im Jahr. Das Bett teilt sie sich – was für ein Fortschritt – nur mit einer anderen Magd und nicht, wie daheim, mit zwei Geschwistern.

Das kümmerliche Dienstbotenleben scheint vorgezeichnet. Die Arbeitgeber sind oftmals schlechte Menschen und Christine erlebt Hunger und Unterernährung. Sie hat keinerlei Unterstützung von den Eltern. Der Vater ist inzwischen unverschuldet arbeitslos und sie muss ganz für sich alleine zusehen, dass sie durchkommt. Weiterlesen

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Malin Lindroth: Ungebunden

Malin Lindroth ist über 50 und lebt alleine. Unfreiwillig. Zweierbeziehung, Ehe, Kinder Familie,… hat sich für sie nicht ergeben.

Schon als Kind ist sie nicht so süß, so gefällig, so zugänglich wie andere Mädchen. Als Jugendliche steht sie mit Pickel und strohigem Haar abseits. Sie glaubt dennoch fest daran, dass auf dieser Welt ein passender Partner für jeden existiert. Jemanden, den man bedingungslos liebt, der dieses Gefühl erwidert und für den man geboren ist.

Bei einem Schüleraustausch sagt eine Frau, für deren Bösartigkeit es kein passendes Wort gibt, zu ihr: „But don´t you worry, honey! Nobody will want to date you!“ (S.26.)

Diesen Satz wird Malin Lindroth ihr ganzes Leben lang nicht mehr vergessen.

Zwischen neunzehn und dreiundzwanzig ist sie verlobt, hat Schwiegereltern in spe und einen Schrank voller Küchengeräte. „Alles Zeichen dafür, dass ich zum Kreis der Begehrenswerten gehöre.“ (S. 26) Sie kann sich aber nicht vorstellen, mit diesem Mann das Leben zu verbringen und löst die Verbindung. Fest davon überzeugt, nach diesem einen werden noch viele kommen, startet sie so richtig ins Leben.

Sie lernt auch viele Männer kennen. Sie verliebt sich. Aber keiner will eine feste Beziehung mit ihr eingehen. Weiterlesen

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Roberta Rio: Der Topophilia-Effekt: Wie Orte auf uns wirken

Die Historikerin Roberta Rio untersucht in ihrem Buch ein interessantes Phänomen. Jeder von uns kennt vermutlich die Tatsache, dass man sich an bestimmten Orten besonders wohl- oder unwohl fühlt. Diesem Umstand versucht sie, ausgehend von eigenen Erfahrungen, auf den Grund zu gehen. Weil ihre Mutter an Krebs erkrankte, startete sie umfassende Nachforschungen:

Der Gedanke, dass mein Elternhaus beziehungsweise dessen Standort den Verlauf der Krankheit meiner Mutter beeinflusst haben könnte, ließ mich von da an nicht mehr los. Unter anderem wurde mir bewusst, dass ich mich dort noch nie wirklich wohlgefühlt hatte. […] Ich versuchte also, mit historischen Recherchen den roten Faden zu finden, der sich durch die Schicksale zog, die sich an einem Ort zugetragen hatten.“ (S. 74f.)

Frau Rio betont mehrmals, die Naturwissenschaften nicht belehren zu wollen. Zu schnell werde man als Para- oder Pseudowissenschaftler bezeichnet. Tatsächlich muten manche Berichte über „entstörte“ Unfallhäufungsstellen oder über ganz Europa verteilte, mit „roten Kreuzen“ markierte Orte etwas seltsam an. Es wird von Erdstrahlung berichtet und von unterirdischen Wasseradern, die Plätzen eine besonders intensive Energie gäben. Weiterlesen

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Alois Brandstetter: Lebensreise

In diesem autobiografischen Text begibt sich der große österreichische Germanist, Autor, Gelehrte, Universitätsprofessor und auch Humorist Alois Brandstetter 2019 auf eine Pilgerfahrt. Er folgt den Spuren seines Namenspatrons Aloysius von Gonzaga. Der Jesuit und zeit seines Lebens vorbildliche Christ starb 1591 bei der Pflege von Pestkranken.

Brandstetter beschreibt aber nicht nur die Eindrücke und Vorkommnisse während seiner Fahrt durch Italien, sondern begibt sich eloquent immer wieder „abseits des Weges“. Er lässt den Leser teilhaben an seinem ungeheuren Wissen. Seien es Theologie, Malerei, Architektur, seien es geisteswissenschaftliche Themen jeder Art, historische Fakten, etymologische Erklärungen von Wörtern, eigene Erinnerungen oder Anekdoten von Begegnungen mit Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts,… der Autor nimmt den Leser plaudernd an der Hand und leitet ihn Seite um Seite durch seinen reichen Erfahrungsschatz. Wenn Brandstetter erzählt, wird dem Leser nie langweilig. Manches Thema wird mit Augenzwinkern und aus humorvoller Distanz betrachtet. Weiterlesen

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Gabriele Kögl: Gipskind

„Die Kleine“ wird in den 1960-er Jahren geboren und wächst auf einem Bauernhof in Österreich auf. Die Verhältnisse in ihrem Elternhaus sind eher mittelalterlich als neuzeitlich und die Ansichten sind es dem entsprechend auch.

Es gibt keine Zentralheizung und keine Toilette im Haus. Der ältere Bruder nächtigt auf einem Sofa in der Stube, das tagsüber hochgeklappt wird. Es ist kein eigenes Zimmer für ihn vorhanden. Als die Kleine im Gitterbett absolut nicht mehr Platz hat, weil die Beine durch die Stäbe schauen, stirbt glücklicherweise der Großvater. Sie darf zur Oma ins Doppelbett ziehen und schläft fortan bei ihr.

Die Großmutter realisiert auch, dass die Kleine nicht laufen kann, weil eine Fehlstellung der Hüfte nicht erkannt- auf alle Fälle aber nicht korrigiert wurde. Man muss etwas unternehmen, sonst wird sie ihr Leben lang nicht gehen können. Es folgen für das Kind unzählige Krankenhausaufenthalte und ein Martyrium im Gipskorsett. Nur die Großmutter nimmt sich seiner liebevoll an und transportiert das „Gipskind“ im Leiterwägelchen an die frische Luft, damit es nicht wochenlang in seinem Bettchen liegen muss.

Das Leben der Eltern ist von harter Arbeit geprägt. Für Hätscheleien und zärtliche Worte gibt es keine Zeit. Die Kleine ist nur Ballast. Weiterlesen

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Uta Ruge: Bauern, Land: Die Geschichte meines Dorfes im Weltzusammenhang.

Uta Ruge ist in einem Dorf in Niedersachsen auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sie erzählt in ihrem Buch die Geschichte ihrer Familie, ihres Dorfes, ja die Geschichte der Bauern in Deutschland allgemein. Dabei spannt sie einen großen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart.

Die unlösbar anmutende Aufgabe, europäische und deutsche Agrargeschichte über den Zeitraum von fast 2000 Jahren beschwingt lesbar darzustellen, gelingt Frau Ruge mit Bravour.

In Rückblenden, verpackt in überschaubare Kapitel, wechselt sie leichtfüßig zwischen gestern und heute, zwischen Politik und Sozialgeschichte, zwischen Heimatdorf und Weltgeschehen und stellt die Zusammenhänge her. Denn der Mikrokosmos Neubachenbruch ist mit dem Makrokosmos darum herum untrennbar verbunden. Neue Gedanken, politische Verfügungen und diverse Erfindungen erreichen das Dorf genauso wie die Kriege. Später verlassen es die Menschen, um in der Umgebung den Lebensunterhalt zu verdienen oder weil sie sich in Amerika eine bessere Existenz erhoffen. Andere ziehen zu, wollen eine neue Chance ergreifen.

Erinnerungen an das Leben am Land früher stehen den heutigen Gegebenheiten gegenüber. Frau Ruges Bruder Waldemar bewirtschaftet gemeinsam mit Frau und Sohn den Hof noch heute. Er führt einen Milchviehbetrieb mit 140 Kühen.

Von der vermeintlichen Idylle damals, betrachtet aus Kinderaugen, ist nicht mehr viel übrig. Den romantischen Blick auf das Bauerndasein demontiert die Autorin zur Gänze, wenn sie zum Beispiel von den Auflagen berichtet, die ein Bauer heute erfüllen muss. Sie macht das Spannungsfeld, in dem sich Landwirtschaft im 21. Jahrhundert befindet, drastisch deutlich. Weiterlesen

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Clemens Berger: Der Präsident

Jay Immer arbeitet als Polizist in Chicago.  Wir schreiben die 1980-er Jahre. Geboren wird er 1926 als Julius Imre im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet, dem Burgenland. Seine Eltern wandern mit ihm in die USA aus und weil dort niemand seinen Namen aussprechen kann, wird aus ihm Jay Immer.  Seine Frau Lucy meldet ihn ohne sein Wissen bei einem Wettbewerb an, bei dem eine Agentur Doppelgänger berühmter Persönlichkeiten sucht. Jay überzeugt als Ronald Reagan. Er quittiert seinen Dienst bei der Polizei und eröffnet, vorerst noch etwas unbeholfen, Vergnügungsparks, Autohäuser und Einkaufszentren. Das Geschäft läuft gut. Immer gewinnt an Sicherheit und lernt interessante Leute kennen. Vor allem jene, die mit Reagans Politik nicht zufrieden sind, kommen auf ihn zu. Er ist Reagan und auch wieder nicht.

Vorerst ist Jay darum bemüht, den Präsidenten so gut wie möglich zu imitieren. Bald kann ihn kaum jemand mehr von ihm unterscheiden.
Als Präsidentendouble beschäftigt er sich eingehend mit dem Original. Die Grenzen verschwimmen. Seine geliebte Gattin heißt zwar Lucy und nicht Nancy, aber er nennt sie schon mal liebevoll „First Lady“ und sie ihn „mein Präsident“. Außerdem wohnen sie ebenfalls in einem weißen Haus, wenn auch in Chicago.
Ein Besuch in der „alten Heimat“ Österreich wird für beide zu einem prägenden Erlebnis. Das Burgenland grenzt an den Eisernen Vorhang. Hier wird Weltpolitik spürbar. Weiterlesen

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F. Schäfer, J. Pisarek & H. Gritsch: Hausgeister!

In Zeiten von Lichtverschmutzung und taghell beleuchteten Nächten haben sie es schwer, die Hausgeister, Wichtel und Kobolde und wie sie noch alle heißen. In Neubaugebieten, laborähnlichen Einfamilienhäusern und sterilen Penthouse – Wohnungen glaubt keiner mehr so recht an ihre Existenz.

Gritsch, Pisarek und Schäfer steuern dem Vergessen mit diesem Buch entgegen. Nach einem historischen Überblick erfährt man viel Interessantes über die archaischen Kollegen, die je nach geografischer Lage ihres Wirkungskreises Butz, Hausdüsterle, Jokele, Hickeding, Hinzelmann oder Puk genannt werden. „Der Glaube an Hausgeister ist ein weit verbreitetes Phänomen. Trotz ihrer Verschiedenartigkeit besitzen sie fast immer eine Schutzfunktion. Somit leben und wirken Hausgeister in bewohnten und bewirtschafteten Häusern, entweder als einnehmender Platzgeist oder als Seelen der Hausbauer- was archaischen Denkmustern entspricht. Es gilt: der Hausgeist sucht sich selbst aus, wo er wohnt. So kann er seit Anbeginn Teil des Hauses sein oder nachträglich, beispielsweise durch aufgelesene Gegenstände wie Holz, ins Haus kommen…“ (S. 27)

Die Autoren folgen den Spuren zahlreicher Märchen- und Sagensammler wie z.B. natürlich den Brüdern Grimm aber auch vielen anderen. Weiterlesen

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