Eigentlich ist der neue Roman der Norwegerin Cecilie Enger eine Autobiografie ihrer Kindheit. Aber ein Buch, das viele Töchter und Söhne etwas angeht: Die 51-Jährige schreibt über die Alzheimer-Erkrankung ihrer Mutter.
Die inzwischen 75 Jahre alte Mutter lebt im Pflegeheim. Beim Ausräumen des Elternhauses findet Cecilie eine Liste der Mutter. Fein säuberlich hat sie über Jahrzehnte notiert, wer wem welche Geschenke zu Weihnachten gemacht hat. Die Liste wird für Cecilie zu einer Kartei der Menschen, die im Leben ihrer Eltern aufgetaucht und wieder daraus verschwunden sind. Mit der Liste erinnert sich die Tochter an ihre Kindheit, an die Großmutter (eine Malerin), an die Großtante, die unter Depressionen litt, an Freude. Die Eltern haben sich scheiden lassen, aber auch das hat die Mutter jetzt vergessen. Weiterlesen
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Deborah Levy: Black Vodka
Menschen unterwegs, bei Abschieden, Trennungen und der Suche begleitet die südafrikanische Autorin Deborah Levy in den zehn Kurzgeschichten in ihrem Band „Black Vodka“. Meist sind es flüchtige Begegnungen – im Restaurant, in Prag, Wien oder London. Und selten machen sie Hoffnung. Nur in der letzten Geschichte erzählt die 55-Jährige, die mit ihrem Buch „Heim schwimmen“ Finalistin des Booker-Preises war, sehr schön, dicht und liebenswert von einem besseren Leben, das zwei Waisenkinder suchen und finden. In Bilder schreibt Deborah Levy und schält die Geheimnisse der Figuren nicht immer ganz heraus. Manchmal bleiben sie rätselhaft und immer sind diese Anti-Helden sie melancholisch und taumeln am Abgrund.
Deborah Levy: Black Vodka.
Verlag Klaus Wagenbach, August 2014.
128 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Julia Gaß.
Andrea Camilleri: Romeo und Julia in Vigata
Die Menschen in Vigata, der Heimatstadt von Andrea Camilleris Commissario Montalbano, sind ein lustiges Völkchen. Auch im zweiten Kurzgeschichtenband des italienischen Bestsellerautors, „Romeo und Julia in Vigata“, lernen wir viele von ihnen kennen: das Liebespaar, das sich auf einem Maskenball verliebt und flieht, die beiden Eisverkäufer, die sich mit immer wieder neuen skurrilen Ideen einen eiskalten Wettstreit um die Kunden liefern, und Amalia, die seitdem sie als Sechsjährige beim Krippenspiel Maria war, die Madonna von Vigata ist. Weiterlesen
Josep Pla: Die Schmuggler
Die Reise nach Katalonien kann man sich sparen und stattdessen einsteigen in das Boot der Fischer, die der katalanische Autor Josep Pla im Kurz-Roman „Die Schmuggler“ übers Meer schickt. In Hafenstädtchen legen die beiden Fischer an und kosten ausgiebig die regionalen Spezialitäten – vorwiegend die aus dem Meer.
Mit an Bord auf der Tour entlang der Costa Brava ist ein Schriftsteller, dem das Boot früher gehörte und der es gleich wiedererkannt hat.
Pla erzählt die Geschichte wie ein Stillleben – aufaufgeregt auch dann noch, als sich ein Mistral zusammenbraut. Der Plan der Fischer ist keine Urlaubsreise; sie wollen Fahrradersatzteile von Frankreich nach Spanien schmuggeln. Ein nettes Buch für zwischendurch.
Josep Pla: Die Schmuggler.
Verlag Klaus Wagenbach, August 2014.
96 Seiten, Gebundene Ausgabe, 13,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Julia Gaß.
René Kollo: Richard Wagner: … dem Vogel, der heut sang …
Es scheint fast so, dass Startenor René Kollo die wiederkehrenden Klischees und Vorurteile in den Wagner-Biografien, die zum 100. Todestag des Komponisten 2013 erschienen sind, so geärgert haben, dass er eine eigene Wagner-Biografie geschrieben hat: ein Buch, aus dem die ganze Liebe des Sängers zu Wagners Musik und große Kenntnis spricht, weil Kollo alle Opern gerne und oft gesungen hat.
Wagners angebliche Judenfeindlichkeit stellt der 77-jährige Tenor richtig, rückt das Nationale in den „Meistersingern“ ins richtige Licht, erklärt, was das Weihevolle am „Parsifal“ ist und schimpft übers Regietheater, das den Werken nicht gerecht werde. – Lebenswert.
René Kollo: Richard Wagner: … dem Vogel, der heut sang … .
Lau Verlag & Handel KG, Oktober 2014.
216 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Günter Grass: Sechs Jahrzehnte
Seit fast zehn Jahren zieht Günter Grass Bilanz. Einen Roman will sich der 87-jährige Literatur-Nobelpreisträger „nicht mehr zumuten“, weil die Recherchen dafür sechs bis sieben Jahre dauern würden.
Aber nach seinen drei Autobiografie-Bänden, die im nächsten Jahr im Steidl-Verlag als Trilogie-Box erscheinen, blickt er nun auf „Sechs Jahrzehnte“ Künstlerleben zurück. Es ist ein gewichtiges Buch, 1700 Gramm schwer, 608 Seiten dick mit mehr Bildern als erklärenden Texten, dazwischen Manuskripte und Gedichte. Weiterlesen
Michael Murgia: Murmelbrüder
Unbeschwert ist die Kindheit der Jungs auf Sardinien, von der Michela Murgia in den „Murmelbrüdern“ erzählt. Jedenfalls so lange, bis die Kinder sich in die Kanalisation schleichen, die Ratten dort bekämpfen wollen und die heiß geliebte Palme im Garten des Pfarrers in Brand stecken.
Ausgerechnet der Geistliche entzweit daraufhin die traute Dorfgemeinschaft; fortan gibt es zwei Gemeinden, zwei Kirchen, viel Feindschaft und zwei Osterprozessionen.
In einer schönen Sprache erzählt die Autorin aus Sardinien in dem schön aufgemachten Buch aus dem Wagenbach-Verlag, wie eine doppelte Maria bei der Prozession wieder Frieden in die Gemeinde bringt.
Ein Buch über den Wert der Freundschaft, deren Keimzelle in Kindertagen gelegt wird.
Michael Murgia: Murmelbrüder.
Verlag Klaus Wagenbach, August 2014.
120 Seiten, Gebundene Ausgabe, 14,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Julia Gaß.
Howard Jacobson: Im Zoo
Schriftsteller sollten lieber nicht über Schriftsteller schreiben. Booker-Preisträger Howard Jacobson tut das im Roman „Im Zoo“ und liefert eine Satire auf den Literaturbetrieb und und eine Abrechnung mit Internet-Händlern, die er für den Niedergang des Buchhandels verantwortlich macht.
Die Briten kürten den Roman zum witzigsten Buch des Jahres, aber es fällt schwer, sich durch die 448 Seiten zu lesen, weil Jacobsons Held, der erfolglose Schriftsteller Guy Ableman, abstruse Sex-Fantasien und animalische Triebe hat, von denen man so genau gar nicht lesen will. Weiterlesen
Alfonso Pecorelli: Mord und andere kleine Geschenke des Himmels
Geldgier, Hass und enttäuschte Liebe treibt die Menschen in den sieben Kurzkrimis von Alfonso Pecorelli an. Es sind perfide Morde, von denen die meisten nicht aufgeklärt werden können.
Da ist das Ehepaar, das nach 40 Jahren Ehe aus Versehen einen Doppelmord begeht, das Liebespaar, das mit dem Fallschirm in den Tod rast – dabei wollten sich Marine und Jean-Luc doch nur gegenseitig überraschen. Eine Adelige mit schwarzer Mamba und eine Gräfin, die ungewollt einen Kinderschänder überfährt, aber noch ein anderes Geheimnis hat. Alles liebeswerte Menschen.
Etwas Versöhnliches gibt es zum Schluss: „Die schönste Geschichte der Welt“ auf einer Seite.
Alfonso Pecorelli: Mord und andere kleine Geschenke des Himmels.
WOA, September 2014.
127 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Julia Gaß.
Anna Romer: Das Rosenholzzimmer
Weit holt Anna Romer in ihrem Debüt-Roman „Das Rosenholzzimmer“ aus und entwickelt diese australische Familiensaga am Schluss zu einem packenden Thriller.
In einem verwunschenen Anwesen spürt die Fotografin Audrey einem Mord, den ihr Großvater am Ende des Zweiten Weltkriegs begangen haben soll nach. Und immer mehr beschleicht sie der Verdacht, dass der Mörder nicht ihr Großvater war und noch lebt.
Die Krimihandlung ist in dem Roman relativ schnell vorhersehbar. Anna Romer packt etwas viel hinein in die Geschichte, auch ihre Begeisterung für die Natur und eine große Liebesgeschichte für die Tochter der Heldin. Das macht das Buch etwas ausschweifen, trotzdem ist das ein gelungenes Debüt.
Anna Romer: Das Rosenholzzimmer.
Goldmann, August 2014.
576 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Julia Gaß.