Taffy Brodesser-Akner: Die Fletchers von Long Islang

Sie sind wer, die Fletchers von Long Island. Schon seit Carls Vater die Judenverfolgung der Nazis gerade so überlebte und mit nichts weiter als einer chemischen Formel und einer Idee nach Amerika kam. Seine Fabrik für Styropor-Verpackungen kam genau zur richtigen Zeit und bereits Carl war reich, als sein Vater starb, während er selbst gerade auf der Uni war. 1980 wird Carl gekidnappt und erst gegen ein großes Lösegeld wieder freigelassen. Die beiden Täter werden gefasst und sterben nach wenigen Jahren im Gefängnis. Problem gelöst, so scheint es.

Das ist der Ausgangspunkt dieser großartigen Erzählung um die jüdisch-amerikanische Familie Fletcher und ihre ganz eigene Geschichte. Taffy Brodesser-Akner hat sehr lange Kapitel gewählt und jedes davon widmet sich mehr oder weniger einem Familienmitglied. Da sind Carls drei Kinder Nathan, Beamer und Jenny, die beiden Jungen noch Kleinkinder bei der Entführung, das Mädchen gerade erst gezeugt. Und trotzdem überschattet das Ereignis ihr Leben und obwohl sie unter besten Bedingungen aufwachen – oder gerade deswegen – hat jeder von ihnen seine eigenen Dämonen zu bekämpfen.

Taffy Brodesser-Akner erzählt davon, was Lügen und Halbwahrheiten in einer Familie anrichten, wie sie das Leben von Menschen beeinflussen, selbst wenn sie sie nicht bewusst erkennen. Alle drei Kinder wuchsen mit einem depressiven Vater und einer ängstlichen Mutter auf. Nach außen fehlte ihnen nichts und trotzdem muss jedes von Ihnen versuchen, einen eigenen Umgang mit der Vergangenheit zu finden. Nathan macht Karriere, so scheint es. Aber im entscheidenden Moment zögert er immer wieder, sich durchzusetzen, und so bleibt er trotz bester Noten nie mehr als ein besserer kleiner Angestellter. Als er sich endlich entscheidet, das zu ändern, fehlt ihm die Erfahrung und es kommt zu einer persönlichen Katastrophe. Beamer verbringt sein Leben mit jeder Droge, die ihm in die Finger kommt, und mit bezahlten Frauen, die ihm etwas geben, was er in einer Beziehung niemals finden könnte – und was ihn in nüchternen Momenten selbst anekelt. Jenny versucht den Reichtum der Familie – und ihren eigenen – durch Altruismus zu verarbeiten, aber auch sie wird grandios scheitern.

Die Autorin lässt sich Zeit mit ihrer Erzählung, da muss man sich drauf einlassen wollen. Auch die ausführlich beschriebenen Szenen zwischen Beamer und seiner Domina, sowie seine deutlich ausgeführten Drogenexzesse fand ich eher so naja. Das große Familiengeheimnis um den Großvater und wie er zu seiner chemischen Formel kam, war irgendwie vorhersehbar und am Ende keine große Überraschung mehr. Trotzdem fand ich den Niedergang dieser jüdisch-amerikanischen Familie insgesamt unterhaltsam beschrieben. Den „scharfen Blick auf gesellschaftliche Verhältnisse“, der in vielen Feuilletons gelobt wird, kann ich so nicht nachvollziehen, dazu waren mir die Figuren zu klischeehaft (die dritte Generation versagt im Leben, der Reichtum basiert irgendwie auf Betrug und geht dann auch den Bach runter – das ist schon eine Schablone). Auch das Verhältnis zwischen arm und reich – hier zwischen der Familie und ihren Angestellten – scheint mehr ein Stereotyp als eine Gesellschaftskritik zu sein.

Trotzdem fand ich „Die Fletchers von Long Island“ insgesamt lesenswert und sei es nur, weil es sonst nicht meinem literarischen Beuteschema entspricht.

Taffy Brodesser-Akner: Die Fletchers von Long Island
Aus dem Englischen übersetzt von Sophie Zeitz
Eichborn 02 /25
gebundenes Buch, 576 Seiten, 25 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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