„Ein Leben für Barbie“ trifft es wirklich exakt. Ruth Handler, die Frau hinter der Puppe, hat wirklich ihr komplettes Leben für diese Puppe „geopfert“. Obwohl, opfern ist nicht ganz der passende Ausdruck, sie hat ihr Leben ihrer Idee von einer Puppe untergeordnet. Einer Puppe, die kleine Mädchen dazu anregen sollte, sich nicht nur als Puppenmutter zu sehen, sondern den Blick zu weiten und vielleicht davon zu träumen, eines Tages eine unabhängige, erfolgreiche Frau mit eigenen Aufgaben und Zielen zu sein. Sich nicht mehr nur unterzuordnen und zufrieden zu sein mit der Rolle der Hausfrau und Mutter, die Ende der 1950-er Jahre und auch lange danach noch für Mädchen und junge Frauen einfach vorgegeben war. Die Idee zu dieser Puppe in Gestalt einer erwachsenen Frau kam Ruth bei einer Europareise mit ihrer Tochter, als sie die „Bild“ Puppe Lilli entdeckte. Zurück in den USA, ist Ruth davon überzeugt, dass ihre Firma, Mattel, unbedingt eine ähnliche Puppe auf den Markt bringen müsse. Die Widerstände sind groß. Weder ihr Mann Elliot noch ihr Chef-Ingenieur Jack Ryan können der Idee zunächst viel abgewinnen, aber Ruth bleibt hartnäckig. Sehr anschaulich wird hier geschildert, was es bedeutet, eine neue Sequenz einzuführen. Auf Puppen war Mattel bisher nicht spezialisiert.
Neue Partner müssen gefunden werden für die Produktion, neue Mitarbeiter eingestellt werden für’s Design und Barbies Kleider. Sehr viel Geld wird in dieses Projekt gesteckt und noch mehr Herzblut. Ruth kann sehr überzeugend sein und sehr fordernd. Sie selbst gibt alles, um „Barbie“ zum Erfolg zu führen. Leider nicht von Anfang an. Zunächst wird diese neuartige Puppe abgelehnt, die Einkäufer auf der größten Spielzeugmesse in New York können ihr nichts abgewinnen. „Barbie“ ist ein Flop! Doch Ruth gibt nicht auf, gegen alle Widerstände und trotz der Gefahr, ein Millionenprojekt in den Sand zu setzen. Als „Barbie“ dann endlich anfängt, auf dem Spielzeugmarkt Fuß zu fassen, werden die Frauenverbände aktiv und machen Front gegen die neue Puppe. Geistlos und schlecht sei sie, schuld an Essstörungen und Modediäten, die die jungen Mädchen krank machten. Ruth lässt sich nicht beirren. Mit einigen wenigen, die in der Firma auf Dauer zu ihr halten, kämpft sie weiter für ihr Herzensprojekt. Die Familie leidet unter „Barbie“, die Firma steht immer wieder vor großen Herausforderungen, Ruth‘ Gesundheit leidet ebenfalls und dennoch gibt sie nicht auf. Der Erfolg gibt ihr schließlich recht.
Meine Sicht auf „Barbie“ hat sich mit der Lektüre dieses durchaus fesselnden aber auch schockierenden Romans verändert. Ich konnte und kann bis heute mit dieser so anderen Puppe wenig anfangen, aber über die Philosophie, die hinter ihrer Entwicklung steckt, hatte ich mir auch noch keine Gedanken gemacht, das muss ich zugeben.
Gut gezeichnete Charaktere, angelehnt an die historischen Gegebenheiten. Ein guter Einblick in die von Männern dominierte Arbeitswelt Mitte des 20. Jahrhunderts, in der es eine Frau wie Ruth nur mit Härte und Zähigkeit schafft, sich zu behaupten und dennoch erleben muss, dass sie auch abserviert werden kann. Wir finden hier den Enthusiasmus, mit dem man eine neue Idee angeht, die Verzweiflung über Misserfolge, die Freude über jeden kleinen Erfolg, die Gier nach Macht und Geld und auf der anderen Seite die Familie, die unter all dem leidet und zu kurz kommt.
Renée Rosen: Ein Leben für Barbie
Aus dem Englischen übersetzt von Angela Koonen
Rowohlt Polaris, Februar 2025
448 Seiten, Paperback, 18,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.