Wow, was für ein großartiger, begeisternder, vielschichtiger, reichhaltiger und intelligenter Roman! Der 1975 geborene amerikanische Schriftsteller Nathan Hill legt nun mit „Wellness“ ein ähnlich fulminantes und rundum überzeugendes Werk vor wie bereits 2016 mit „Geister“.
Hauptfiguren sind diesmal Elizabeth, die aus einem reichen, aber herzlosen Elternhaus stammt, und Jack, der irgendwo in der Provinz großgeworden ist – mit einem Vater, der sich aufs Abbrennen von Feldern verstand und einer geradezu bösartigen Mutter. Beide haben dunkle Geheimnisse in ihrer Vergangenheit.
Elizabeth und Jack werden ein Paar, und der Roman begleitet sie durch die Zeiten – vom ersten für uns Leser durchaus herzerwärmenden Verliebtsein bis hin zum Wunsch Elizabeths nach getrennten Schlafzimmern. Sie arbeitet in einem Institut namens „Wellness“, das den Placebo-Effekt erforscht, er hat sich einer Kunstform verschrieben, die er zwar Fotografie nennt, in der aber keine Kamera zum Einsatz kommt, sondern nur die Chemikalien vermischt werden, die beim Entwickeln von Bildern gebraucht werden. Ihr ganzes Sehnen richtet sich auf eine Traumwohnung, die sie sich gekauft haben, obwohl sie noch gar nicht gebaut ist. Doch je näher sie diesem Traum kommen, desto mehr zerbröckelt ihre Ehe.
Thema dieses 700-Seiten-Wälzers sind die vielfältigen Lügen und Manipulationen, mit denen wir durchs Leben gehen und von denen wir beeinflusst werden, das komplizierte Konstrukt Ehe und wie es sich mit den Jahren verändert, die Abhängigkeit von den Erlebnissen in der eigenen Kindheit, Kunstkritik und noch so vieles mehr.
Das alles überbringt Nathan Hill überaus glaubhaft, überzeugend und mit virtuoser Souveränität, sodass man diesen Roman trotz seiner Dicke von der ersten bis zur letzten Seite verschlingt.
Nathan Hill: Wellness
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Dirk van Gunsteren und Stephan Kleiner
Piper, Januar 2024
736 Seiten, gebundene Ausgabe, 28 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.