Nathan Harris, Jahrgang 1991, wird als große Entdeckung am Autorenhimmel gefeiert. Sein Roman „Die Süße des Wassers“ war auf Anhieb ein Bestseller und die Literaturkritik voller Lob. Dabei behandelt das Buch ein schwieriges Thema, eine dunkle Zeit in der Geschichte der USA, deren Schatten bis in die Gegenwart reichen.
George Walker ist ein Eigenbrötler, der gerne kocht oder in philosophierende Gedanken versunken durch den Wald auf seinem Land streift. Sein Vater war einst der größte Grundbesitzer von Old Ox, einem kleinen Städtchen in Georgia in den Südstaaten der USA. George lebt mit seiner Frau Isabelle noch immer im elterlichen Blockhaus und bisher bestritt er seinen Lebensunterhalt, indem er das ererbte Land Stück um Stück an interessierte Nachbarn verkaufte.
Doch nun ist Krieg. Die Kämpfe zwischen der Union, bzw. den Nordstaaten und den Konföderierten im Süden liegen in den letzten Zügen, die Sklaverei ist per Dekret beendet. Durch den besten Freund seines Sohnes Caleb erhält George Nachricht von dessen Tod an der Front. Während sich Isabelle mit ihrem Schmerz in Calebs Zimmer verschanzt, überwindet George seine Sprachlosigkeit mit einem neuen Projekt: Er will sein Land nutzen. Bei einem Streifzug durch den Wald hatte er zwei ehemalige Sklaven getroffen. Prentiss und Landry mussten bis vor kurzem auf der Plantage von Georges Nachbarn schuften und brauchen Geld, um im Norden eine Existenz aufbauen zu können. George bietet ihnen an, für fairen Lohn bei ihm zu arbeiten. In Old Ox macht er sich damit vor allem Feinde.
Intensive Szenen
Die Geschichte hat mich von der ersten Seite an in ihren Bann gezogen. Nathan Harris lässt vor meinem inneren Auge ein detailreiches und sorgfältig gezeichnetes Bild entstehen. Er lässt seinen Figuren Zeit sich zu entfalten und zu erklären, ohne dass es je langatmig wird. Manche Szenen sind so intensiv, dass mir beim Lesen der Atem stockt. Für mich liegt der Fokus vor allem auf den Beziehungen der Protagonisten untereinander und zu ihrer Umwelt, es gilt Vertrauen zu erhalten und zu gewähren einerseits und andererseits Anfeindungen zu ertragen und Haltung zu bewahren. Es gibt Beweggründe für das eine wie für das andere. Der Autor lässt jede der Figuren ihre Geschichte erzählen und so entsteht ein lebendiges Bild der Zeit.
Mir gefällt vor allem das Konstrukt dieser aus Schwarzen und Weißen bestehenden Solidargemeinschaft, die langsam wachsen kann. Prentiss und Landry haben als Sklaven schlimme Erfahrungen gemacht und daher allen Grund, dem weißen Ehepaar zunächst misstrauisch gegenüberzustehen. Mit George und Isabella wiederum hat Nathan Harris zwei Protagonisten erschaffen, die sich schon immer gängigen Konventionen widersetzt haben, nur dass die Leute das in Friedenszeiten als verschrobene Wunderlichkeit abtun konnten. Nach der Niederlage der Konföderierten schlägt ihnen offene Feindschaft entgegen. Am Beispiel von Old Ox und seinen Bewohnern zeigt der Autor, dass der Krieg entweder das Beste oder das Schlechteste aus einem Menschen zutage fördert.
Von mir gibt es auf jeden Fall eine klare Leseempfehlung.
Nathan Harris: Die Süße von Wasser
Eichborn Verlag, Oktober 2022
448 Seiten, Taschenbuch, 25.00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.