„Ein herzzerreißendes Meisterwerk über einen unvorstellbaren Verlust“ wird Linn Ullmann auf dem Buchcover zitiert – was nicht besser ausgedrückt werden könnte.
„Carls Buch“ ist ein sehr persönliches und gleichzeitig unendlich trauriges, seitenweise fast albtraumhaftes Buch.
Die dänische Schriftstellerin und Dichterin Naja Marie Aidt, die zu den wichtigsten Stimmen Skandinaviens zählt, hat darin das Schlimmste, was einer Mutter, bzw. Eltern widerfahren kann, verarbeitet: Den Tod des eigenen Kindes:
Im Alter von nur 25 Jahren kommt Naja Marie Aidts Sohn Carl im Jahr 2015 ums Leben. Er stürzt sich nach der Einnahme von halluzinogenen Pilzen aus dem Fenster. Nicht nur sein eigenes Leben ist von einem auf den anderen Tag beendet, auch seine Familie wird in ihrer Verzweiflung aus der Bahn geworfen. Wie es nach einem langen Prozess des Begreifens und des Verarbeitens der Trauer überhaupt einigermaßen wieder möglich wird, dem eigenen Leben eine gewisse Struktur zu verleihen, daran lässt die Autorin uns teilhaben.
Neun Monate nach Carls Tod beginnt sie ein Trauertagebuch zu schreiben und versucht das, was geschehen ist, in Worte zu fassen, obwohl es für das schier unerträgliche Geschehnis eigentlich gar keine Worte gibt.
„[…] und deine Hand war so kalt, dass die Kälte hinaufkroch in mein Gesicht, meinen Kopf, meinen Schädel.“ (eBook S. 11).
Wir lesen frühe Tagebuchaufzeichnungen mit kurzen Episoden aus Carls Kindheit, Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes, Notizen von Carl selbst, Szenen, die sich innerhalb der Familie nach der Todesnachricht abspielen und wie die Tage danach ablaufen; weiter von der Unfallrekonstruktion, dem Unfallbericht mit Carls Verletzungen, Gedanken über Organspenden, Sätze aus dem Gilgamesch-Epos, Zeilen aus Büchern von den französischen Schriftstellern Stéphane Mallarmé und Jacques Roubaud, die ihrerseits ebenfalls ihre Trauer schreibend verarbeitet haben.
So setzt sich das Buch aus vielen unterschiedlichen Fragmenten zusammen. Keine andere Form als diese zerrissenen, zusammengestückelten Texte könnte wohl das qualvolle Leid der geschilderten Grenzerfahrung derart eindringlich und zugleich präzise literarisch wiedergeben.
Ein ergreifend bedrückendes Buch, das sich gleichzeitig ungemein intensiv und tief liest.
Naja Marie Aidt: Carls Buch – Hat der Tod dir etwas genommen, dann gib es zurück.
Aus dem Dänischen übersetzt von Ursel Allenstein.
Luchterhand Literaturverlag, August 2021.
176 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.