Mirjam Wittig: An der Grasnarbe

In der Stadt wird Noa von Angstattacken heimgesucht.Wann immer sie in der Öffentlichkeit – in der Bahn, auf Straßen und Plätzen, in öffentlichenGebäuden – auf junge Männer mit arabischem Aussehen trifft, befällt Noa panische Angst, ihrVorstellungsvermögen produziert Bilder von Explosionen und Toten und sie verlässt den Ort. Dabei belastet sie nicht nur dieirrationale Körperreaktion, sondern auch die üble Unterstellung gegenüber denen, die die Panikattackendurch bloße Abwesenheit auslösen. Um dem allen zu entfliehen, nimmt sie eine Stelle als Helferin aufeinem Bauernhof in den französischen Alpen an.

Die Hofeigentümer Ella und Gregor haben vor etlichen Jahren Deutschland verlassen, um in

Frankreich ein neues Leben zu beginnen. Doch die Arbeit wächst den beiden zunehmend über denKopf, Helfer sind immer willkommen. In den nächsten Tagen und Wochen lernt Noa Schafe zu hüten,sie pflanzt Setzlinge, geizt Tomaten aus, hilft beim Ernten und beim Einkochen. Sie gewinnt dasVertrauen von Jade, der 11jährigen Tochter von Ella und Gregor.Doch auch hier überkommen sie immer wieder irrationale Ängste und das Gefühl, einer Situation hilflos ausgeliefert zu sein.

Aus Noas Perspektive

Die Geschichte wird aus der Perspektive von Noa erzählt, aus ihrem Erleben nehme ich am Alltag auf dem Hof teil, bekomme einen Eindruck von dem renovierungsbedürftigen Gehöft, konstatiere die Folgen des Klimawandels für die Landwirtschaft und erlebe das von Arbeit und Beziehung überforderte Aussteigerpaar. Ich werde genauso unvermittelt in ihre Ängste gerissen wie Noa selbst. Trotzdem bleibt mir die Protagonistin oft ein wenig fremd und ich kann ihr Handeln nicht immer nachvollziehen. Sie bleibt in jedem Moment dem Augenblick verhaftet, erklärt wenig und ich erkenne kein Ziel.

Mirjam Wittig vermeidet den großen Bogen. Klimakrise, Rassismus, Terrorismus werden nur angerissen und übernehmen nie die thematische Führung. Das wiederum tut dem Roman gut. Vielleicht ist es gerade die Summe all dieser Bedrohungen und Unwägbarkeiten, die Ängste generieren oder wenigstens ein latentes Unbehagen über unser Leben legen.

Der Roman endet, wie er beginnt. Noa lässt sich auf ein besonderes Abenteuer ein und wagt einen weiteren Neuanfang. Ich wünsche ihr Glück dabei.

Mirjam Wittig: An der Grasnarbe
Suhrkamp, April 2022.
198 Seiten, gebundene Ausgabe, 23,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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