Leo und Simon sind ein Paar am Ende ihrer 20er Jahre. Bereits seit 10 Jahren leben sie zusammen, haben eine Wohnung in Brüssel und Leo glaubt, Simon in- und auswendig zu kennen. Er ist ihr Seelenverwandter, sie haben beide ihre Mütter recht jung und brutal verloren und das scheint ihrer Beziehung noch einmal eine besondere Innigkeit zu verleihen. Bis Simon anfängt, sich zu verändern.
„Ich bin nicht da“ ist ein Roman über das, was eine psychische Erkrankung auch bei dem Partner anrichten kann. Das Buch ist unglaublich intensiv, das ich mich nach einer Lektüre mal so richtig schlecht gefühlt habe, kommt selten vor und spricht für den Roman. Lize Spit erzählt aus der Sicht von Leo, die erst nicht versteht, dann verleugnet und schließlich verzweifelt.
Es ist Simon, der psychisch krank ist, aber je stärker die Belastung für Leo wird, desto mehr hat sich mir der Eindruck aufgedrängt, dass auch sie ein Problem hat. Es muss unglaublich schwer sein, wenn der Partner, den man doch liebt und dem man vertraut, plötzlich paranoid behauptet, die Freunde würden sie hintergehen und dann nicht doch ein kleines bisschen von dem zu glauben, was er sagt. Ganz abgesehen davon, dass man es am Anfang sowieso glaubt. Wie ist es, nach Hause zu kommen und nie zu wissen, welche Katastrophe einen erwartet? Was macht das mit der eigenen Wahrnehmung?
Leo beginnt, Simons wildesten Vorstellungen vor der Umwelt zu verbergen, manchmal versucht sie auch, sich selbst zu belügen. Sie lügt für ihn, sie entschuldigt ihn, sie schämt sich für ihn und kann es doch nicht eingestehen.
Als Simon endlich in Behandlung kommt, macht es das für Leo nur teilweise besser. Sie, die doch gerade im Leben durchstarten wollte, Kinder, Karriere, alles am Anfang und alles mit Simon an ihrer Seite geplant, sie hat plötzlich einen Partner, der zwar nicht mehr gefährlich ist, aber durch die Medikamente auch nicht mehr er selbst. Seine Kreativität, seine quirlige Art, die sie stets mitriss, sein Optimismus und sein Glaube an sich sind mit seiner Manie verschwunden. Geblieben ist ein Simon, der kaum entscheiden kann, was er zum Frühstück möchte. Aber er ist doch Simon, der Mann, den sie liebt und mit dem sie leben wollte. Aber auch Simon, der ohne Medikamente wirklich gefährlich für sich und seine Umwelt werden kann.
Simon löst sich während der Geschichte mehr und mehr auf und manchmal hatte ich den Eindruck, Leo löst sich mit auf.
Fazit: Unglaublich intensive Geschichte um das Leben mit einem manisch-depressiven Partner. Definitiv kein Wohlfühlbuch, lohnt sich aber.
Lize Spit: Ich bin nicht da.
Aus dem Flämischen übersetzt von Helga van Beunigen.
S. Fischer, Juli 2022.
576 Seiten, gebundene Ausgabe, 26,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.