Joe R. Lansdale: Moon Lake

Daniel Russel kommt aus zerrütteten Familienverhältnissen. Die Mutter hat seinen Vater und ihn Hals über Kopf verlassen, sein Dad, ein ehemaliger Bibliothekar, ist bis über beide Ohren verschuldet.

Eines Abends, der Strom ist bereits abgestellt, nimmt er seinen Sohn, packt einen Koffer voll und verlässt das gepfändete Haus. Es geht zurück dahin, wo er einst die Liebe seines Lebens kennengelernt hat, wo er eine Zukunft hatte, wo er glücklich war – nach Long Lincoln.

Dass der Ort schon einige Zeit nicht mehr existiert, dass er tief unter dem Wasserspiegel des gestauten Sees liegt – was solls. Er rast über die Brücke direkt hinein in das kalte Wasser – Daniel wird von einer gleichaltrigen Schwarzen, die mit ihrem Vater am See angeln war, aus dem sinkenden Auto gezogen.

Zahn Jahre später kehrt Daniel, inzwischen Buchautor und Journalist, nach New Long Lincoln zurück. Der Sommer ist dermaßen heiß, dass der Moon Lake ausgetrocknet ist, Chief Dudley den so lange vergeblich gesuchten Wagen von Davids Vater endlich herausziehen konnte.

Drin allerdings nicht nur die Leiche des Vaters, sondern im Kofferraum eine weitere, in einem Koffer befindliche Leiche einer Frau. Dudley vermutet, dass es sich bei ihr um die Mutter von Daniel handelt.

Als dieser mit seiner Retterin aus Kindertagen, die inzwischen als erste Farbige bei der örtlichen Polizei arbeitet, den ausgetrockneten See besucht, stoßen die Beiden in der erstaunlich gut erhaltenen Stadt am Seegrund auf andere Fahrzeuge, in denen sich weitere Leichen befinden.

Was steckt hinter den Funden, was ist dran an den vom mächtigen Stadtrat unterdrückten Gerüchten, die drei Mächtigsten der Stadt wussten, dass sich in den Gebäuden noch Menschen befanden, als sie das Wasser damals in die Stadt leiteten?

Gegen alle Widerstände macht sich Daniel, unterstützt von ein paar Stadtbewohnern auf, die Rätsel, aufzuklären …

Joe Lansdale ist Texaner. Ein weißer Texaner, ergo könnte man ihn vorschnell in die Schublade „verbohrter Republikaner“ und Mitglied der NRA (National Rifle Association) stecken.

Schon seine so tollen Hap & Leonard Romane aber wiesen, wie sein gesamtes Werk, darauf hin, dass man damit aber auch so was von falsch liegt.

In Hap & Leonard schildert er die Freundschaft eines Weißen mit einem schwulen, schwarzen Country-Music Fan. Dass die Nachfahren des Kurlux-Clan Landale noch nicht gelyncht haben, ist ein Wunder.

Warum ich das erzähle – weil Lansdale seine Romane – seinen sie übernatürlich oder Kriminalthriller – immer auch dazu nutzt, uns gehörig Gesellschaftskritik um die Ohren zu pfeffern.

Das ist vorliegend nicht anders. Im ersten Teil, Ende der 60er Jahre, in dem wir Daniel das erste Mal begegnen, ist die Rassentrennung zwar schon länger aufgehoben, gelebte Gleichberechtigung in Ost-Texas aber eher so selten anzutreffen, wie eine Oase in der Wüste.

Den nach wie vor existenten tagtäglichen Rassismus lässt er ebenso unauffällig, wie deutlich in seinen Plot einfließen. Immer wieder begegnet erst der 13-jährige Daniel, später der 23-jährige Anfeindungen seiner dunkelhäutigen Bekannten von weißen Rednecks, die ihre verbohrten Überzeugungen zu Markte tragen. Inkludiert hat er in seine Handlung nach der Aufklärung der Leichen auch wieder – sehr dosiert – einige übernatürliche Sequenzen. Daniels toter Vater sucht als Geist den Jungen, dann den Erwachsenen heim.

Und dann geht es hinein in den spannend aufgezogenen Ermittlungsakt. Was passierte damals, wer wusste davon, wer versucht nun das Aufrollen des Falles zu verhindern und woher nur stammen die zum Teil schon lange tote Leichen in den gefundenen Autos?


Fragen, die der Verfasser nach und nach angeht, uns immer weiter mit Hinweisen und Offenbarungen lockt und so an die Seiten fesselt. Hier merkt man dem Roman an, welch versierter und handwerklich geschickter Autor Lansdale ist. Die Spur, die er uns anbietet, ist strukturiert, da gibt es keine Brüche, keine zu viele oder zu wenig an Erklärungen, oft lässt er die Situation selbst für sich sprechen. Dabei inkludiert er – wie immer – ein gerüttelt Maß an Gesellschaftskritik, porträtiert immer wieder die Denkweisen und Vorurteile der Rassisten und zeichnet ein wenig positives Bild seiner texanischen Heimat. Das ist anders, das ist spannend, das verwöhnt mit einem realistisch wirkenden Setting und einer packenden Suche nach Aufklärung der Vorgänge.

Erwähnen sollte ich noch, dass es das Buch in zwei Ausführungen gibt. Zum einen, das normale Hardcover, zum anderen als limitierte und sowohl vom Autor, als auch von dem abweichenden Titelbildgestalter signierten Version, von der meines Wissens noch einige wenige Restexemplare beim Verlag lieferbar sind.

Joe R. Lansdale: Moon Lake.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Patrick Baumann.
Festa, November 2022.
461 Seiten, gebundene Ausgabe, 26,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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