Mackinac Island ist ein charmanter Ort, der normalerweise zum Verweilen einlädt. Und Janes mondänes Herrenhaus, das während der Prohibition eine Anlaufstelle für Alkoholschmuggler und Verbrecher war, bietet auch gesetzestreuen Bürgern enormen Luxus und Überraschungen. Diesen geschichtsträchtigen Ort wählte die Autorin Kelly Mullen für ihren Kriminalroman aus. Ganz im Stil einer Agatha Christie finden sich verschiedene bekannte Persönlichkeiten zu einer Party und Auktion ein, um mit entsprechender Kleidung die 1920-er Jahre zu feiern. Nur zwei Inselbewohner sind ebenfalls eingeladen, unter anderem Mimi MacLaine, eine ältere Dame, die ungefragt ihre Enkelin Addie mitbringt.
Mimi hat vor dieser Party Angst. Warum hat die mondäne Jane ihre Einladung mit einer Erpressung versehen? Und warum soll sie bei der Versteigerung ein Artefakt erwerben und sich damit in den Ruin bringen? Mimi hat unter anderem vor Jane Angst, die von ihrem Geheimnis weiß, dessen Offenbarung Mimi ebenfalls ruinieren würde. Und was würde Addie von ihr denken, wenn sie von diesem dunklen Geheimnis erführe?
Kelly Mullen setzt alles auf Eskalation. Das riesige Herrenhaus, das von einem breiten Graben umgeben ist, wird durch die hochgefahrene Zugbrücke zu einem Gefängnis für alle Bewohner und Gäste. Ein Jahrhundertunwetter mit Eis und Schnee – um bei den Superlativen zu bleiben – macht eine Flucht unmöglich. Wenig später wird Jane in ihrem Schlafzimmer ermordet, und der Strom fällt aus. Mimi und Addie beginnen sofort mit ihrer privaten Ermittlung: Einer von ihnen muss der Mörder oder die Mörderin sein. Wie vor 100 Jahren erhellen Kerzen eine unheilvolle Kulisse, die alles andere als Behaglichkeit verspricht. Und wie vor 100 Jahren trinken sich alle Beteiligten Mut an und rauchen ihre Nervosität in dichte Nebelwolken.
Die Kriminalgeschichte wird überwiegend aus Addies Perspektive erzählt. Sie ist eine geniale Spieldesignerin und inzwischen eine Berühmtheit unter den Gamern. Ihr Schwerpunkt sind Mordgeschichten, in denen die Spieler in jeder Episode einen Mörder ermitteln dürfen. Addie liebt raffinierte Mordgeschichten. Nun scheint sie selbst in einem „echten“ Spiel gefangen zu sein, in dem Menschen sterben und jeder Gast ein Geheimnis und Mordmotiv hat. Wer von ihnen hat am meisten zu verlieren? Bisher hatte sie zu ihrer Großmutter ein spannungsreiches Verhältnis. Jetzt sind sie aufeinander angewiesen, um weitere Gewalttaten zu verhindern.
Kelly Mullen nutzt das Genre des Kriminalromans, in dem verschiedene Archetypen wie in einem Computerspiel ihre wahren Absichten verschleiern. Geheimgänge und versteckte Hinweise bringen Addie und Mimi ihrem Ziel immer näher, bis sie selbst um ihr Leben Angst haben müssen.
Die spannend zu lesende Geschichte weiß gut zu unterhalten. Die spielerische Entwicklung, gewürzt mit humorvollen Einlagen, bietet keinen Raum für inszenierte Gewalt und Horror. Und am Ende bleiben zwei Fragen offen: Wie wird Addie ihren neuen Lebensabschnitt meistern und wird sie ihren betrügerischen Exfreund Brian zur Verantwortung ziehen? Bei Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf.
Kelly Mullen: Die Einladung: Mord nur für geladene Gäste
Aus dem Englischen von Katharina Naumann
Rowohlt Taschenbuch, November 2025
400 Seiten, Taschenbuch, 14,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.
