Der Weg in die Welt der Erwachsenen ist für Victor zunächst ein schleichender Prozess. Als Zweitgeborener nutzt er seine Freiheit, eigene Wege auszuloten. Einer ist das Lycée in Paris, die Eintrittskarte zur Eliteuniversität. Victor, das fleißige Landei mit scharfem Verstand, findet sich wie gewohnt in seiner Außenseiterrolle wieder. Ist er bei seinen Eltern der unverstandene Kluge, sehen die Mitschüler in ihm nur den mittellosen Provinzler. Wider Erwarten schafft er es im ersten Jahr unter die 20 Besten. In seinem zweiten einsamen und zugleich arbeitsintensiven Vorbereitungsjahr lernt er in den Pausen Mathieu kennen, der wie er als Außenseiter die gleiche ruhige Ecke zum Rauchen aufsucht. Auch Mathieu leidet unter dem Leistungsdruck und den verletzenden Bemerkungen der Lehrer.
An dem Tag, an dem Victor beschließt, Mathieu zu seinem Geburtstag einzuladen, eskaliert das angespannte Verhältnis zwischen dem angehenden Freund und einem Lehrer. Mathieu rennt aus dem Klassenzimmer und stürzt sich im Treppenhaus zu Tode. Victor ist bei diesem Freitod Ohrenzeuge und rennt zu ihm. Der Schock rüttelt ihn auf.
Jean-Philippe Blondel, 1964 in Troyes geboren, beschreibt diesen Wendepunkt seines Ich-Erzählers mit dem Satz: »… Draußen war Donnerstag.« (S. 41) Er lässt Victor schonungslos und ehrlich über seinen Weg zurück ins Jetzt, ins Leben berichten. Einfühlsam erzählt der Autor die Themen Kaderschmiede und Verarbeitung eines Freitodes aus. Victors Dilemma ist die Frage, was wäre passiert, wenn er noch zu Mathieus Lebzeiten seine Einladung ausgesprochen hätte? Die Frage wiegt um so schwerer, weil er danach viel Positives erlebt. Victors Weg in die Welt der Erwachsenen ist in der Literatur einerseits nichts Neues. Er ist jedoch andererseits auch etwas Besonderes. Denn sein »Draußen war Donnerstag.«.
Jean-Philippe Blondel: Ein Winter in Paris.
Deuticke Verlag, September 2018.
192 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.