Ivana Jeissing: Wintersonnen

winterEs ist ein langer Selbstfindungsprozess, bei dem wir Gustava, die junge Protagonistin in diesem Roman, begleiten. Auslöser ist die seit ihrer Kindheit andauernde Suche nach ihrem unbekannten Vater. Die Sehnsucht, der Vergangenheit ein Gesicht zu geben, bleibt allgegenwärtig.

Gustava lebt mit ihrer Mutter – genannt Mimi, in Wien. Sie hat ihren Vater nie kennengelernt und alle ihre Fragen nach ihm prallen an Mimi ab. Vielleicht gerade weil Mimi Gustavas Nachforschungen so vehement abwehrt und blockiert, steigert dies die Sehnsucht des Mädchens nach einer vollständigen Familie, denn immer mehr fühlt sie in ihrem Zuhause eine Lücke ohne den Vater.
In ihren Kinderträumen stellt sie sich den Vater als einen großen Mann in Trenchcoat und Tweedhosen mit cognacfarbenen Schnürschuhen vor.

Ihre letzten Lebensmonate muss Mimi in der Neurologie im Krankenhaus verbringen, sie leidet unter schwerer Demenz. Gustava findet auch in dieser Situation keinen richtigen Zugang zu Mimi, die ihr eher wie eine Fremde als die vertraute Mutter erscheint. Zu lange hat sie ihr den Zugang zu ihrer Vergangenheit verweigert.
In der neurologischen Abteilung des Krankenhauses lernt Gustava Erna kennen, die sich rührend um ihre Mutter kümmert, weil sie es als eine Berufung betrachtet. Erna offenbart Gustava ihre bewegte, fast unglaubliche Lebensgeschichte, in der sie als Hausdame und Gesellschaftsdame sehr betuchter alter Menschen in den Genuss kam nicht nur jeden Kontinent zu bereisen, sondern auch Opern, Kunstmessen und Galaveranstaltungen zu besuchen. Weil sie etwas von ihrem Glück, das ihr widerfahren ist, zurückgeben will, kehrte Erna ihrem schillernden Leben an der Cte d’Azur den Rücken, um sich fortan ganz selbstlos um alte kranke Menschen zu kümmern.

Als Mimi stirbt, muss Gustava erst wieder lernen, ihr eigenes Leben zu führen – lebte sie zuvor doch zwischen ihrer eigenen und der Welt ihrer Mutter, wobei sie mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft jonglierte. Von Neuem sucht sie in der Wohnung der Mutter nach ihrer Vergangenheit und einer Spur zum Vater.
Dann zieht Gustava nach Berlin um alles hinter sich zu lassen und einen Neubeginn zu wagen. Durch Erna macht sie die Bekanntschaft mit Donald Gliese, einem Kinderpsychologen. Donald hilft ihr, sich durch ihre Identitätskrise durchzuarbeiten. Ebenso wird ihr der Gärtner Nello ein wichtiger Begleiter.
Als der neue Bewohner von Mimis Wohnung in Wien unter einer Holzdiele ein Kästchen mit Briefen von Mimi findet, das er an Gustava weitergibt, findet sie ihre Vergangenheit.

Ivana Jeissing versucht den wesentlichen Dingen des Lebens nachzuspüren, dabei schürft sie tief und versteht es gleichzeitig, den Text mit komischen Situationen zu versehen.

Ivana Jeissing: Wintersonnen.
Metrolit, August 2015.
260 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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