Ein gelungener Auftakt zu einer neuen Dilogie, der uns ins Hamburg des Jahres 1913 führt und uns drei Menschen begleiten lässt, die völlig unterschiedlich sind und dennoch einiges gemeinsam haben. Nicht zuletzt, ein neues, selbstbestimmtes Leben zu beginnen.
Louise, die an der Seite ihres Mannes bislang ein unbeschwertes, sorgenfreies Leben geführt hat, muss plötzlich auf sich alleine gestellt zurechtkommen. In einem Hamburger Nobelhotel wird sie eines Morgens sehr unsanft geweckt mit der Nachricht, ihr Mann sei in der Nacht bei einem Duell ums Leben gekommen. Nach dem ersten Schock allerdings zweifelt Louise an der Wahrheit dieser Mitteilung. Das kann nicht sein. Viktor ist mit all seinen Papieren, Wertgegenständen und ihrem Bargeld verschwunden. Louise ist mittellos. Wie soll es für sie weitergehen? Es bleibt ihr nichts anderes übrig als ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das ist ohne Geld und fremde Hilfe nicht einfach. Ein glücklicher Zufall lässt sie Ella kennenlernen, die in Hamburg „gestrandet“ ist, nachdem ihr eine waghalsige Flucht aus dem Bordell gelungen ist, in dem sie seit Jahren zur Prostitution gezwungen worden war.
Auch sie ist auf sich alleine gestellt und entschlossen, sich ein neues Leben aufzubauen. Die beiden ungleichen Frauen werden Freundinnen. Als Ella einen kleinen Jungen vor der Polizei beschützt und versteckt, lernen sie den ehemaligen Polizisten Paul kennen, der ebenfalls bemüht ist, den Jungen zu beschützen. Nicht nur vor der Polizei, die ihn des Mordes verdächtigt, was Paul sich absolut nicht vorstellen kann, sondern auch vor der Bande, der er sicher eher unfreiwillig angehört. Mit dem Kopf dieser Bande hat Paul noch eine dicke Rechnung offen. Seit Langem schon versucht er erfolglos, ihn zu fassen. Schon recht bald ist auch Paul ein guter Freund der beiden Frauen. Gemeinsam stellen sie sich den Herausforderungen eines harten Lebens auf St. Pauli, schaffen es, sich eine neue Existenz aufzubauen.
Die Geschichte ist spannend geschrieben und fesselnd. Vor allem die unterschiedlichen Charaktere sind hervorragend gezeichnet. Es wird sehr deutlich, wie schwierig es war, sich als Frau alleine in einer Welt zu behaupten, die von Männern dominiert war. Wir erleben zwei sehr unterschiedliche, aber gleichermaßen starke, entschlossene Frauen, die sich von den Widrigkeiten nicht unterkriegen lassen. Wir erleben aufrichtige Freundschaft und Mut. Sehr realistisch werden die Zustände auf St. Pauli geschildert, kriminelle Kinderbanden, Menschenhandel sind an der Tagesordnung. Beim Lesen taucht man ein in das Flair der Gegend und die Probleme der Menschen, die hier leben oder versuchen, sich ein neues Leben aufzubauen.
Henrike Engel: Elbnächte: Die Lichter über St. Pauli
Ullstein, März 2025
399 Seiten, Paperback, 15 Euro 99
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.