Graham Swift: Nach dem Krieg

Der britische Schriftsteller Graham Swift (Jahrgang 1949) gilt als einer der wichtigsten Autoren der britischen Literatur. Auch auf unserem Buchblog finden sich mehrere Besprechungen seiner Bücher, zuletzt über „Da sind wir“ aus dem Jahr 2020. Am 17. April 2025 hat dtv zwölf neue Erzählungen von Graham Swift unter dem Titel „Nach dem Krieg“ in einer Übersetzung von Susanne Höbel veröffentlicht.

„Nach dem Krieg“

Und schon in der ersten Erzählung „Das Nächstbeste“ versinke ich als Lesende in Graham Swifts wunderbarer Sprache und seinen treffenden Charakterisierungen:

Herr Hans Büchner, ein deutscher Amtsleiter mit „(fast) perfektem Englisch“ im Rathaus einer Kleinstadt, sieht sich 1959 mit dem Gesuch eines britisch-jüdischen Soldaten konfrontiert, der über seine deutsche Verwandtschaft recherchiert. Sein Besuch im Rathaus weckt bei Herrn Büchner die Erinnerung an die Kriegsjahre als Soldat in Tobruk (Afrika) und seine eigene Kriegsgefangenschaft in England, während der er so gut Englisch gelernt hatte.  Aber eigentlich will er das alles hinter sich lassen, schließlich waren „seine Hände sauber“.

Oder Dr. Cole in „Erröten“, ein pensionierter Arzt, der sich während der Pandemie 2020 freiwillig zum Dienst im Krankenhaus gemeldet hat wie zu einem Kriegseinsatz. Dr. Cole erinnert sich an die Geburtstagsfeier zu seinem zehnten Geburtstag. Sein erstes Erröten und seinen Entschluss, Arzt zu werden.

Joan und ihr Mann Frank Green, ein ehemaliger Bomberpilot,  befinden sich 1962 mitten in den Vorbereitungen für die Hochzeit ihrer Tochter Sophie, als es zur Kuba-Krise kommt und die Welt am Rande eines Atomkriegs steht. Doch es geht noch einmal gut aus. Frank zieht seine alte Fliegerjacke an und feiert das Bonfire-Fest mit einem „Feuerwerk“.

In der Erzählung „Schwarz“ begegnet die achtzehnjährige Nora, die 1944 in einer nordenglischen Bergarbeiterstadt Fallschirme aus weißer Seide für den Kriegseinsatz näht, einem schwarzen GI im Bus, sie setzt sich neben ihn und sie sprechen miteinander. Für sie ist diese Begegnung der Schritt in die Freiheit von ihrem gewalttätigen Vater und das Erwachsensein.

In der letzten Erzählung des Buches „Pass“ sucht die ehemalige Lehrerin Anna-Maria Alice Anderson an einem frühen Morgen im Oktober ihren Pass, weil sie nicht genau weiß, ob sie 81 oder schon 82 Jahre alt ist. Ihre Eltern, der Engländer Michael Anderson und die Spanierin Maria Ortega, starben 1940. Der Vater fiel in Ägypten, die Mutter starb bei einem Bombenangriff in England. Anna-Maria Alice war drei Jahre alt.

Menschen geben keinen Frieden

Am 8. Mai 1945, vor achtzig Jahren, endete der 2. Weltkrieg. Die Alliierten befreiten Deutschland und Europa vom Nationalsozialismus.

2025 tobt schon seit drei Jahren ein neuer Krieg in Europa.

Der Zeitpunkt, zu dem „Nach dem Krieg“ von Graham Swift erscheint, steht im Zeichen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und zahlloser anderer Kriegsschauplätze auf der Welt.  

Dabei zeugen die zwölf Erzählungen von den schmerzhaften und langjährigen Nachwirkungen, die Kriege hinterlassen. Menschen sterben, Kinder werden zu Waisen, Städte und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht.

In „Nach dem Krieg“ erzählt Graham Swift von den menschlichen Wunden und Verletzungen, die ein Krieg verursacht und lebenslange, traumatische Erinnerungen hinterlässt:

„Eine Stimme tief in Franks Innerem sagte: »Dies passiert nicht wirklich. Das kann nicht wirklich passieren.«

Es war dieselbe beharrliche Stimme, die er in seinem Inneren gehört hatte, als er mit Knoten im Gedärm auf dem Bauch gelegen und über verschiedenen deutschen Städten Bomben abgeworfen hatte. Seit über zwanzig Jahren versuchte er, diese Erinnerungen nicht zuzulassen. Jetzt war es Tony Hammond, der sie wieder weckte.“ (S. 156/157)

Bei Swift gibt es jedoch auch Hoffnung, Wendepunkte, die das Leben in eine bessere, friedlichere Richtung führen.

Die kurzen Erzählungen, wie immer bei Graham Swift meisterhaft geschrieben, sind feinfühlige Beobachtungen mit anrührenden Charakteren, die ihr Leben „nach dem Krieg“ meistern. Und manchmal dabei wieder von ihm eingeholt werden. Menschen geben keinen Frieden. Unbedingt lesen!

Graham Swift: Nach dem Krieg. Zwölf Erzählungen.
Aus dem Englischen von Susanne Höbel.
dtv, 17. April 2025.
296 Seiten, Hardcover, 25,- Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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