Als die US-Schriftstellerin Harper Lee im Februar 2016 wenige Wochen vor ihrem neunzigsten Geburtstag verstarb, zog ihr Name noch einmal die Aufmerksamkeit der Nachrichtenwelt auf sich.
Mit ihrem ersten Roman Wer die Nachtigall stört, hatte Harper Lee gleich den begehrten Pulitzer-Preis gewonnen.
Harper Lee hat Gehe hin, stelle einen Wächter noch vor ihrem Erfolgsroman Wer die Nachtigall stört geschrieben, doch es war nicht der richtige Zeitpunkt, diesen Roman zu veröffentlichen. Harper Lee’s Agenten lehnten das Manuskript 1957 ab. Die Autorin schrieb weiter, versetzte ihre Protagonisten zurück in die Jahre ihrer Kindheit und so entstand Wer die Nachtigall stört.
Gehe hin, stelle einen Wächter ist also genau genommen Harper Lee’s eigentliches Debüt, das sich wie ein Fortsetzungsroman von Wer die Nachtigall stört liest. Das Manuskript galt sechzig Jahre lang als verschollen und wurde erst 2014 entdeckt.
Es ist das Amerika der fünfziger Jahre – derselbe Ort, dieselben Figuren wie in Wer die Nachtigall stört – nur zwanzig Jahre später.
Jean Louise Finch ist längst erwachsen geworden. Sie kommt für einen Ferienaufenthalt aus New York zurück in ihre Heimat nach Maycomb, einer fiktiven Kleinstadt in Alabama.
Doch Maycomb und seine Bewohner haben sich in den Jahren verändert. Dass sich die Rechte der Farbigen verbessern und deren Leben sich immer mehr ihrem eigenen annähert, empfinden die Menschen als bedrohlich.
Auch Jeans Vater Atticus, ein Anwalt, ist nicht mehr der Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit, wie Jean ihn aus ihrer Kindheit kennt. Atticus ist Mitglied des Bürgerrats von Maycomb, in dem gegen Schwarze gehetzt wird. Auch gibt er zu, gegen die Aufhebung der Rassentrennung zu sein.
Ihren geliebten Vater als Rassisten einstufen zu müssen, ist für die emanzipierte, kämpferische Jean schwer zu verkraften.
Dazuhin entpuppt sich Jeans Freund Hank, der in die Kanzlei ihres Vaters eingestiegen ist, immer mehr als Enttäuschung. Auch er ist Mitglied des Bürgerrats und passt sich den Gegebenheiten kritiklos an.
Basierend auf dem Rassenkonflikt arbeitet Harper Lee in vielen etwas langatmigen Dialogen das große Thema Gerechtigkeit im Zusammenhang mit der Diskriminierung der schwarzen Bevölkerungsschicht aus. Tragende Elemente des Romans sind die daraus entstehenden Konflikte und Jeans Emotionen, von denen sie sensibel und selbstbewusst gesteuert wird.
Harper Lee wurde am 28. April in Monroeville/Alabama geboren und verstarb dort in einem Altenheim am 19. Februar 1916. Die als Einzelgängerin geltende Lee verbrachte als Kind in Monroeville – man höre und staune – ihre Ferien im Sommer in Nachbarschaft mit Truman Capote. Schon damals hatten Capote und Lee den gemeinsamen Wunsch Schriftsteller zu werden.
Harper Lee: Gehe hin, stelle einen Wächter (1957).
Penguin Verlag, September 2016.
320 Seiten, Taschenbuch, 10,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.
Ich habe von meiner Oma beide Bücher (Wer die Nachtigall stört und Gehe hin, stelle einen Wächter) geschenkt bekommen. Bis jetzt habe ich sie noch nicht gelesen, aber ich freue mich schon sehr darauf 🙂
Liebe Grüße,
Cora