Galgenhumor vom Feinsten: Die Kurzgeschichten und Episoden dieses Buches handeln von Menschen, die scheitern, aber trotzdem weitermachen. Irgendwie. Hans Fallada, Autor von „Kleiner Mann, was nun“, macht weder vor Gutsherren, Beamten, Nazis, Bauern, Dieben, herrenlosen Weibern oder Sturköpfen aller Art Halt. Nach dem Motto: „Wenn neunundneunzig Dinge misslungen sind, kann das hunderste doch gelingen.“ Kann… muss aber nicht!
Ein gerissener Schneidergesell versucht, in einer spiegelverkehrten „Hans im Glück“-Geschichte ein paar Bauern hereinzulegen. Junge Wandersleute ziehen einen faulen Wirt über den Tisch, ein Bettler einen abergläubischen Verkäufer. Ehelicher Zwist kann durch Kleinigkeiten wie eine offene Tür hervorgerufen werden. Eine strenggläubige Gutsherrin will die sündige Magd zur Reinheit bekehren – ein Schuss, der böse nach hinten losgeht. Fallada hat ein untrügliches Gespür für die absurden Untertöne des Alltags. Besonders deutlich kommt dies in der Geschichte „Das Groß-Stankmal“ zum Tragen. Eine Verkehrszählung führt in einem kleinen Ort zum politischen Vollchaos. Denn um den Anschluss an den Strom zahlender Touristen nicht zu verlieren, versuchen sich Kommunisten, Monarchisten, Demokraten und Nazis bei der Stadtratsversammlung gegenseitig auszuspielen. Am Ende ist ein arbeitsloser Junglehrer schuld, denn neue Ideen sind nicht überall gerne gesehen. Falladas kuriose Dialogkunst wird sehr schön in der Episode „Der Ärmste“ verdeutlicht. In dieser bekommt es ein Herrenausstattungs-Verkäufer mit einer sehr anstrengenden Klientel zu tun.
Oft sind es gerade die „kleinen Männer“ – und Frauen – der Gesellschaft, die in seinen Geschichten unter die Räder geraten. Ob durch Inflation und Pleiteunternehmen, ob durch bösartige Schwiegereltern oder lieblose Ehemänner. Das Leben hält einige Stolpersteine bereit.
Schönes Bonmot: Jede Geschichte wird von einem treffsicheren Zitat eingeleitet, zum Beispiel: „Die Menschen ohne kleine Schwächen haben meist einen großen Fehler.“
Die in diesem Erzählband verfassten Texte sind in den frühen 1930er entstanden, spielen aber von der Jahrhundertwende über das Kaiserreich bis zum Beginn des Nationalsozialismus. Bestechend ist der Humor, mit dem Fallada manche Nazis karikiert. Wohl deshalb, weil die Geschichten zu einer Zeit geschrieben wurden, in der nicht nur der Autor die politische Gefahr verkannte. So war es ihm möglich, sich der Materie noch mit lakonischem Wortwitz anzunähern. Fallada blieb trotz Warnungen in Deutschland. Sein wohl schlimmstes Malheur. Kritische Passagen wurden zuerst zensiert, später wurde er denunziert, verhaftet und schließlich zum unerwünschten Autor erklärt.
Das anschließende Nachwort von Günter Stolzenberger rückt die gelesenen Episoden in einen autobiografischen Kontext. Alle in diesem Buch geschilderten Missgeschicke ergeben zusammengenommen in etwa Falladas Biografie. Der Autor hat nichts ausgelassen: Alkohol- und Morphiumsucht, ein als Duell fingierter Selbstmordversuch, diverse Psychiatrieeinweisungen und Gefängnisaufenthalte sind nur einige von seinen „Malheuren“. Viele in diesem Buch versammelten Texte, die vom bäuerlichen Leben handeln, spiegeln Falladas eigene Erlebnisse wider. Entgegen seinem Willen wurde der sensible Junge von seinem ehrgeizigen Vater zu einer Lehre in der Landwirtschaft gezwungen. Doch wie die Protagonisten seines Buches, kommt auch Fallada nach jedem Fall wieder auf die Beine. Seine Zähigkeit ist bewundernswert und tragisch komisch. Obwohl er bereits mit 17 Jahren zu schreiben begann, erfolgte der große Durchbruch erst mit 38 Jahren. Kaum hatte er seinen Traum verwirklicht, kamen die Nazis an die Macht – und sein Traum zerbrach.
Virginia Wolf, eine Zeitgenossin des Autors, nannte eines ihrer Bücher „Wenn dir das Leben Zitronen schenkt, mach Limonade daraus“. Fallada handelt in diesen Geschichten nach genau diesem Motto. Das liest sich manchmal spitzzüngig und grotesk, manchmal voller Schadenfreude, aber stets äußerst amüsant.
Fazit: Ein Buch für alle geborenen Pechvögel und hoffnungslosen Optimisten (gerne auch in der Kombination aus beiden!). Sowie für alle, die ohne schlechtes Gewissen einmal nach Herzenslust über die Missgeschicke anderer Leute lachen möchten.
Hans Fallada: Malheur-Geschichten (1930).
dtv, April 2019.
240 Seiten, Gebundene Ausgabe, 12,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.
Danke für den Hinweis und die Rezension, die Geschichten aus den frühen dreißiger Jahren kenne ich noch nicht.
Interessant ist die Fallada-Biografie von Peter Walther, Aufbau-Verlag, speziell zu seiner Entwicklung in der NS-Zeit.
Lieber Herr Wille,
danke Ihnen für den Hinweis mit der Fallada-Biografie. Seine Entwicklung in der Nazi-Zeit ist in der Tat so umstritten wie tragisch. In diesen Geschichten begeistert mich vor allem der Humor, der sich sowohl mit einer gewissen Leichtigkeit (die Kurzgeschichte „Das Groß-Stankmal“) als auch mit kritischem Realismus („Die schlagfertige Schaffnerin“) der Materie annimmt.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß bem Lesen der Lektüre!