Volker Langenbein, genannt Rusty, wuchs in einer Gegend auf, „in der man nicht überall spielen durfte, denn es konnte relativ schnell passieren, dass man eine Backpfeife sitzen hatte, wenn man in die ‚falsche Straße‘ kam.“ (Zitat aus Einleitung) Obwohl ihn seine Mutter liebevoll erzogen hatte, geriet er in kriminelle Kreise und er gibt unumwunden zu, dass er sich die „Leiter nach unten“ selbst gebastelt hatte. Was er trieb waren keine „Kleine-Strolche-Straftaten“ mehr. Als eine Haftstrafe im Raum stand, war ihm klar, dass er etwas ändern musste. Und er hat die Kurve gekriegt.
Nach verschiedenen Jobs landet er auf dem Friedhof – als Arbeiter in der „Gärtnertruppe“. Sein Kollege Manne begrüßt ihn locker und mit der Ansage, dass er sich keinen Stress machen soll. Und schon ist die Sache geritzt. Rusty gewöhnt sich ein und lernt schnell dazu. Laub rechnen, Hecken schneiden, Gräber gießen, zwischendrin schnell mal eine Kippe – alles kein Problem. Mit den Toten hat er nur aus der Ferne Kontakt. Sobald ein Trauerzug vorbeikommt, verschwinden die Gärtner in den Büschen.
Doch nach einem Jahr läuft sein Vertrag aus. Bei den Gärtnern ist nichts mehr frei. Aber weil sich Rusty bewährt hat, bekommt er von der Friedhofsleitung ein Angebot: Wenn er möchte, kann er bei den Totengräbern anfangen. Alles muss schnell gehen, er hat keine Bedenkzeit. Kurzentschlossen sagt er zu. „Einmal tief durchgeatmet und …A star was born! Oder: Ein Narr was born? Ich hatte keine Wahl. Also rein in den Untergrund. Rein in die Tatsache, Konfrontation Tod.“ (Zitat: Kapitel „Das erste Jahr“)
Mehr als 25 Jahre hat Rusty in der Zwischenzeit auf Friedhöfen gearbeitet. In seinem „Tagebuch“ erzählt er von den Startschwierigkeiten, von seinem Aufstieg zum Leiter eines Stadtteilfriedhofs, von körperlichen und psychischen Problemen. Denn was er – und natürlich auch seine Kollegen – jeden Tag zu sehen und zu riechen bekommen, muss man erst einmal aushalten. Zu ihrer Arbeit gehört nicht nur das Gräberschaufeln, sondern auch die Versorgung der Verstorbenen, die Vorbereitung und Begleitung der Bestattungen und das Auflösen von Gräbern. Vor allem der nächtliche Bereitschaftsdienst, bei dem häufig Unfallopfer und andere entstellte Leichen abgeholt werden müssen, nagt an den Nerven. Aber auch der Umgang mit trauernden Hinterbliebenen ist für Rusty nicht immer einfach, vor allem, wenn er mit ihnen fühlt und ihren Schmerz an sich heranlässt.
Rusty ist zäh und beißt sich durch. Wie ein Stehauf-Männchen wird er mit allen Schwierigkeiten fertig und findet Mittel und Wege, trotz gesundheitlicher Tiefschläge, seine Arbeit auf dem Friedhof fortzusetzen. Seine kriminelle Vergangenheit hat er abgelegt, mit Gewalt möchte er nichts mehr zu tun haben, auch wenn er manchmal noch am Explodieren ist, wenn ihm einer blöd kommt. Aber er hat sich im Griff. „Wahnsinn, was das Leben einem so alles bringt!, dachte ich. Gestern noch ein totaler Chaot und heute mit einer Arbeit vertraut, die Menschen hilft und keineswegs schadet.“ (Zitat: Kapitel „Gezittert wie Espenlaub“)
Wichtig ist ihm vor allem, den Hinterbliebenen zur Seite zu stehen und mit der Zeit erarbeitet er sich auf „seinem“ Friedhof einen Ruf: Er ist nicht nur ein Friedhofswärter für die Friedhofsbesucher, sondern der „Totengräber ihres Vertrauens“. Darauf ist er – sehr berechtigt – stolz.
Was Rusty erzählt hat mich berührt und erschüttert, manchmal habe ich mich auch richtig geekelt. Seine Sprache ist oft flapsig, derb und drastisch, manchmal aber auch einfühlsam und sanft. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und bezieht klar Stellung. Man spürt, dass ihm die Menschen am Herzen liegen und dass er Vorurteile hasst. Die Arbeit, die er und die anderen Männer und Frauen auf unseren Friedhöfen (und in den Bestattungsinstituten) leisten, kann man gar nicht hoch genug schätzen. Das machen wir uns viel zu wenig bewusst.
Der Plan zu diesem Buch entstand in einer Karlsruher Kneipe, in der Volker Langenbein von seiner Arbeit erzählte, wie Ko-Autor Klaus N. Frick in seinem Nachwort berichtet. Gemeinsam wollten sie aus den mündlichen Berichten ein Buch machen. „Ich hatte allerdings unterschätzt, dass aus einer Bier-Idee ein ernsthaftes Projekt werden würde. Vor allem hatte ich unterschätzt, wie engagiert Volker wirklich an das Projekt gehen würde.“
Zum Glück haben die beiden ihr Vorhaben durchgezogen, denn Rustys Leben, seine Arbeit, Entwicklung und Haltung haben mich beeindruckt. Ich kann nur sagen: Hut ab und ich bin froh, dass mir dieses Buch „über den Weg gelaufen“ ist. Es hat mir das Leben und den Tod von einer ganz neuen Seite gezeigt.
Volker Langenbein: Totengräbers Tagebuch.
Hirnkost Verlag, Juni 2019.
374 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.
Totengräbers Tagebuch, ein absolut fesselnder Roman, innerhalb 24h gelesen. Ich habe schon viele Bücher verschlungen, aber keines davon war annähernd so wie dieses Tagebuch. Unheimlich, Herz ergreifend aber auch schockierend … Selten so ein, zum Nachdenken gebrachtes, unfassbares Buch gelesen. Einfach Top.
Liebe Frau Lipp,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Auch mich hat das Buch gefesselt und zum Nachdenken gebracht. Ich freue mich, dass Sie Ihre Einschätzung mit den Leserinnen und Lesern von Schreiblust-Leselust teilen.
Viele Grüße
Beate Fischer
Lieber Volker,
Respekt, wem Respekt gebührt, kann ich auf dein Buch und deine Arbeit nur antworten!
Es ist ein Buch, welches absolut authentisch ist und dem Leser Einblicke gewährt, über die bisher geschwiegen wurde.
Die Berufsbezeichnung Totengräber entspricht nicht annähernd der wirklichen Tätigkeit und deren Umfang. Ein absolut empfehlenswertes Buch, das hoffentlich viele zum Nachdenken anregt.
Volker echt toll 👍 Respekt 😘
Habe das Buch gerade ausgelesen,es hat mich gefesselt sehr bewegt. Konnte nicht erwarten es ganz lesen zu können.wahnsinn,hatte nicht gewusst was ein totengräber alles mitmachen muss
Toll geschrieben voll emotiomen,Leid und tragischem.tolles Buch. Respekt Volker 👍👍👍😘
Das Buch ist großartig, sehr interessant geschrieben. Man lernt den Beruf des Friedhofgärtners, des Totengräber und des Bestatters mal richtig kennen und hat den grössten Respekt und Achtung davor. Die herzlichen Einblicke in die Betreuung der Hinterbliebenen. Der große Respekt der Grab Arbeit. Die Pflege eines Friedhof. Ich sah nach der letzten Seite des Buchs vieles ganz anders als vorher. Ein Buch das respektvoll in allen Geschichten und Arbeiten beschrieben wurde. Ich kann es nur weiterempfehlen.