Hannah Lynn: Wer will schon ewig leben

Was für ein aberwitzig witziges Buch. Die Autorin lässt ihrer überbordenden Fantasie freien Lauf und heraus kommt ein gelungener Roman um einen seit 200 Jahren in der Zwischenwelt festsitzenden armen Tropf.

Dieser arme Kerl heißt Walter Augustus und er hängt so lange in dieser Zwischenwelt fest, so lange sich auf der Erde noch irgendjemand an ihn erinnert. Nun hat er Aussicht auf Aufstieg ins Jenseits, denn die letzte Nachfahrin seiner Familie liegt im Sterben und Walter hat die große Hoffnung, dass sich danach niemand mehr an ihn erinnern wird. Doch er hat sich zu früh gefreut. Denn Walter, seinerzeit Hufschmied von Beruf, hat zu Lebzeiten Gedichte verfasst, die ein wohlmeinender Adliger heimlich drucken ließ. Aufgrund eines, nennen wir es Unfalls, bleibt von diesen Bänden nur ein einziger erhalten. Und dieses Exemplar gelangt nun in unserer Zeit in die Hände von Letty, einer schüchternen, etwas übergewichtigen Schuhverkäuferin und Hobbybäckerin mit einem zu großen Hang zu Süßigkeiten. Also muss Walter nun alles daransetzen, dieses letzte Exemplar seiner Gedichte zu vernichten und die Erinnerung an seinen Namen aus Lettys Gedächtnis zu löschen.

Unterstützung bekommt er dabei von dem ebenfalls in die Zwischenwelt zurückkatapultierten Pemberton, denn diesem war Walters Gedichtband gewidmet, sowie von Hector, einem reichlich sonderbaren Gesellen, der von wirren Ideen und absurden Ideen nur so sprudelt.

Letty bekommt also nun „Besuch“ von Poltergeistern, Walter dringt in ihr Gedächtnis ein – „Besitzergreifung“ nennt man das in Zwischenwelt – und durchsucht dessen Räume nach sich selbst. Letty selbst hat aber noch ganz andere Probleme, allen voran ihre selbstsüchtige, narzisstische Schwester Victoria, die sich ständig von Letty und ihrem Mann Geld borgen möchte. Geld hätte Letty genug, nur hat sie davon ihrem Mann Donald nie etwas erzählt. Es gibt also reichlich Verwicklungen in diesem Roman, die die Handlung stets vorantreiben und das ganze Buch wunderbar unterhaltsam machen.

Hanny Lynn gelingen furiose Beschreibungen der Innenwelt von Lettys Hirn, dass sie wie einen riesigen Korridor darstellt. Oder auch der Zwischenwelt, die von den kuriosesten Figuren bevölkert wird. Natürlich ist das alles ein großer Blödsinn, aber einer, der diebisch viel Spaß macht. Die Figuren sind liebevoll und mit Augenzwinkern gezeichnet, legen die menschlichen Schwächen, aber auch die Stärken bloß. So ist der Roman auch durchaus ein Plädoyer für Liebe, Verständnis, Geduld und Vertrauen.

Dieses Buch kann ich all denen empfehlen, die sich gerne mal für ein paar Stunden in eine herrlich konstruierte Fantasiewelt begeben, die sich, wer weiß, vielleicht hinter unserer realen Welt versteckt…

Hannah Lynn: Wer will schon ewig leben.
Tinte & Feder, September 2020.
347 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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