Geoff Dyer möchte ein Buch über sein großes Vorbild, den Autor D.H.Lawrence, verfassen. Dazu kommt es nicht. Denn Geoff Dyer hat ein Problem: Er will grundsätzlich das, was er gerade nicht hat. Er will das Buch schreiben, vermeidet aber die Arbeit an demselben. Ausreden findet er zur Genüge – und sei es, dass sein Lieblingscornetto im Caffé Farnese ausverkauft ist. Wer jemals von Schreibblockaden heimgesucht wurde oder ein wichtiges Projekt auf die lange Bank geschoben hat, weiß sich beim Lesen in bester Gesellschaft. Nie wurde darüber so schräg und unverblümt berichtet.
Überdreht, unentschlossen, wankelmütig? Gestatten, Geoff Dyer! Der Autor pflegt solche Eigenschaften mit Inbrunst. Kaum hat er seine Wohnung gekündigt, will er dort bleiben. In Rom ist es ihm zu heiß, in England zu kalt. Am Nacktbadestrand in Mexiko übermannt ihn die Erotik, auf einer griechischen Insel das süße Nichtstun. Überall echauffiert er sich über die Gepflogenheiten der Einheimischen. Ob dauerverschnupfte Londoner oder „kindische“ Italiener, niemand findet Gnade. Da er sich von allem und jedem ablenken lässt, bleibt das Schreiben auf der Strecke. Der richtige Zeitpunkt, die richtige Umgebung – er findet sie nie. Der Autor sabotiert sich permanent selbst.
Er folgt seinem großen Idol D. H. Lawrence, dem Autor berühmter Werke wie Lady Chatterley, quer durch Europa bis nach Mexiko und die USA. Besucht Stätten seines Schaffens, Handlungsorte seiner Bücher. Dabei streut der Autor gekonnt sein detailliertes Wissen über Lawrence ein, verliert sich seitenweise in Interpretationen von Briefen und Bildern. Dies verlangt vom Leser ein gewisses Interesse an moderner Belletristik ab. So plötzlich wir von Dyers literarischer Expertise überwältigt werden, so plötzlich fällt Dyer wieder in alte, exzentrische Verhaltensmuster zurück. Er ist unfähig, etwas anzufangen oder zu Ende zu bringen. Schließlich folgt die Erkenntnis, dass sein allergrößtes Verlangen darin besteht, nichts zu tun. Punkt.
Die Figur des liebenswerten Misanthropen ist Dyer auf den Leib geschrieben. Der gebildete und gewitzte Autor aus Großbritannien weiß vorzüglich zu unterhalten mit seinem „Anti-Zen-Weg“ und seinen kultivierten Wutanfällen. Auch mit vertanen Vorhaben macht er seinen Frieden: „Die Menschen müssen das Gefühl haben, durch äußere Umstände dran gehindert worden zu sein, das Leben zu leben, das sie, hätten sie es gelebt, gar nicht gewollt hätten.“
Ein Buch, zum Niederknien komisch.
Es muss schön sein, Geoff Dyer einmal über den Weg zu laufen und ihn zu beobachten.
Aus weiter Ferne, versteht sich.
Geoff Dyer: Aus schierer Wut.
DuMont Buchverlag, November 2016.
304 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.