Schon im Roman „Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat“ war ich angenehm überrascht von der Nähe, die der Autor zu seinem Protagonisten herstellt. In „Libellen im Kopf“ hat er das fast noch perfektioniert. Die eher erfolglose Journalistin Abby findet ihren toten Nachbarn Simon, als sie sich eine Dose Tomaten ausborgen will. Was sich wie der Anfang eines Krimis liest, ist jedoch nur der Beginn einer Abwärtsspirale in Abbys Innerem, die zunächst steil aufwärts zu zeigen scheint. Abby verarbeitet das Erlebnis in einem Artikel, sie macht das auf eine sehr persönliche Art und Weise und verknüpft es mit ihrem eigenen Empfinden. Das kommt zunächst gut an. Ebenso wie der Folgeartikel, der noch persönlicher wird, aber in der Hauptsache nur ihr engeres Umfeld verärgert. Jetzt muss noch ein Knallerartikel her. Abby entwickelt hektisch Ideen, also eigentlich eher eine Idee, die verfolgt sie aber exzessiv und für die Betroffenen eher unangenehm. Es erscheint ihr wie ein guter Plan, egal wie sehr sie bei ihren Recherchen die Menschen irritiert. Sie ist manisch. Und dann kommt das Loch, der Absturz, die totale Leere, aus der sie sich erst wieder befreien muss.
Abby ist eigentlich eine witzige Person, zumindest im Anfang des Buches. Ja, es ist schon irgendwie durchgeknallt, wie sie auf den Tod des Nachbarn reagiert, aber doch, es ist witzig. Gavin Extence erzählt die Geschichte strickt aus Abbys Sicht, so dass der Leser den Absturz nicht kommen sieht, genauso wenig wie Abby. Abby leidet seit vielen Jahren unter einer Psychose, sie hat manische Phasen, in denen sie kreativ und witzig ist und depressive, in denen sie leer ist. Dazwischen scheint es nichts zu geben. Das schlimme daran ist, dass sie manischen Phasen erst mal positiv wirken, sie kann arbeiten, schafft tolle Dinge, hat vielleicht nicht immer die besten Pläne, aber wer hat die schon. Und dann ufern die Ideen plötzlich aus, sie hält wirklich irre Dinge für ganz toll und versucht sie durchzuführen. Und dann folgt die Leere. Es gibt viele Bücher über die Theorie dieser Phasen, aber hier durchlebt der Leser sie. Gavin Extence schreibt in seinem Nachwort, dass er selber zu den betroffenen gehört. Das macht das Buch so autentisch. Hut ab vor einem Autor, der es gewagt hat, seine Leser so tief in sein eigenes Inneres zu führen und das auch noch zuzugeben.
Ein tolles Buch, dem es gelingt, die Krankheit anschaulich zu schildern, ohne belehrend oder besserwisserisch zu werden. Oder selbstmitleidig.
Gavin Extence: Libellen im Kopf.
Limes, November 2016.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.