Kennen sie die Geschichte um Kardinal Richelieu und die drei Musketiere? Alexandre Dumas hat mit den Romanen um die rauf- und lebenslustigen Kämpfer des Königs einige der erfolgreichsten Abenteuer-Romane der Weltliteratur verfasst.
Nun stellen sie sich diese Welt vor – nur ein klein wenig anders. Frauen sind hier gleichberechtigt, ja ihren männlichen Kollegen mit scharfem Stahl und brennender Lunte oftmals überlegen. Richelieu, Rochefort und Dartagnan stehen als Frauen der Königin, wenn auch untereinander verfeindet, dennoch treu zur Seite. Dass Begabte, und von diesen gibt es viele, wahrhaftige Engeln beschwören und für ihre Zwecke einsetzen können, fordert zwar jeweils seinen Preis in Lebenszeit, führt aber dazu, dass Wunderheilungen oder gar überwältigende Schöpfungen allgegenwärtig sind.
Vor einigen Jahrhunderten kam eine Plage über das Reich Ystara. Der Erzengel Palleniel wandte sich von seinem Volk ab, wer auch immer für oder aus diesem Volk einen Engel zu beschwören trachtet, löst eine heimtückische Seuche aus. Die Menschen verbluten, allein das rote Blut tritt als Asche aus ihren Körperöffnungen. Einige Wenige aber trifft es noch weit drastischer – sie verwandeln sich in Scheusale – fast unbezwingbare, nicht alternde Bestien.
Einigen der Einwohner Ystaras gelang die Flucht ins Königreich – sie dienen seitdem als rechtlose und unterbezahlte Diener überall da, wo niemand sonst arbeiten möchte.
Gerüchteweise wurde die Seuche durch die Engelsmagierin Liliath ausgelöst – eine Frau, die nicht nur Engel in sich trägt, sondern auch eine Frau, die nun aus ihrem magischen Schlaf erwacht ist und zurück an die Macht will. Damit nicht genug, will sie das alte Reich wieder zu neuer Blüte erwecken – nicht ganz aus uneigennützigen Motiven …
Humorvolle und rasante Unterhaltung
Nicht umsonst hat Garth Nix, seines Zeichens immerhin internationaler Bestsellerautor, den Roman den Machern um die Musketierverfilmung von Richard Leser und MacDonald Fraser gewidmet. Die zweiteilige Umsetzung, der später noch ein dritter Teil, der allerdings das Niveau leider nicht ganz halten konnte, nachfolgte, gehört zu meinen absoluten Highlights und unterhält ebenso humorvoll wie rasant.
Nun, Humor ist in vorliegendem Roman eher mäßig vertreten, rasante Abenteuer voller blitzender Degen, Engelsmagie und Pulverdampf aber bietet der Roman satt.
Geschickt spielt der Verfasser dabei mit der Erwartungshaltung seiner Leser. Gleichgeschlechtliche Beziehungen, die de facto Herrschaft der Frauen auch auf dem Feld der Ehre, Diskriminierung von Migranten – alles drin und dies so herrlich unauffällig, dass es eine wahre Freude ist, es zu lesen. Statt plakativ Diversität zu predigen, zeigt sie uns Nix als etwas ganz Normales, integriert seine Themen in eine packend und geheimnisvoll aufgezogene Handlung. Dabei schauen wir hauptsächlich durch die jungen, unerfahrenen Augen von vier Menschen, die abgesehen davon, dass sie aus derselben Region kommen, eigentlich nichts miteinander gemein haben. Eine Musketierin, ein Heiler, ein Schreiber sowie eine Forscherin stehen, geschickt von Liliath dort platziert, im Zentrum des Geschehens. Sie nehmen am Feldzug nach Ystara teil, nicht ahnend, dass ihnen eine essenzielle Rolle zugedacht ist.
Ungewohnte Abweichungen
Das Setting orientiert sich natürlich an dem aus zahllosen Mantel- und Degenfilmen bekannten Frankreich des 17. bis 18. Jahrhunderts. Hier stoßen wir auf viel Bekanntes, schwelt Nix in den Animositäten der Musketiere und der Wache des Kardinals, verblüfft aber immer wieder auch durch ungewohnte Abweichungen und neuen Ideen. Insbesondere die zu Diensten beschworenen Engel fügen der Handlung etwas markant Neues hinzu.
So ist dies ein herrlich kurzweiliges Abenteuer voller interessanter Figuren, einer ungewöhnlichen Welt und voll von Engeln, die einmal nicht dem üblichen Bild der Himmelsboten folgen.
Garth Nix: Ashblood – Die Herrin der Engel
aus dem australischen Englisch übersetzt von Tim Straetmann
penhaligon Verlag, April 2023
537 Seiten, Taschenbuch, Euro 17,00
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.