Wenn Tessa in Belfast unterwegs ist, schaut sie nach Menschen, die sich verdächtig benehmen. Ständig rechnet sie mit einem terroristischen Angriff. Und bevor sie mit ihrem Auto fahren will, sucht sie den Unterboden nach Bomben ab. Wie Tessa leben alle Nordiren in ständiger Angst. Schon immer hat sie sich für Politik interessiert und wurde aus diesem Grund Journalistin, die bei der BBC politische Sendungen macht. Nach Feierabend kümmert sich die Alleinerziehende um ihren Säugling. Ihr Kampf im Alltag bedeutet neben der ständigen Sorge um ihren Sohn Finn viel Organisation und die Angst vor Fehlinterpretation.

Völlig unerwartet bricht ihr fragiles Leben auseinander, als ihre „unpolitische“ Schwester Marian bei einem Anschlag gefilmt wird und die IRA sich hierfür bekennt. Allein der Gedanke, dass „… Meine Schwester weiß, wie man eine Waffe lädt, wie man Sprengstoffe transportiert und wie man mit bloßen Händen kämpft.“ (S. 181) macht Tessa fassungslos. Wie konnte sie nur so blind gewesen sein?

Seit Marian offiziell zur IRA gehört, wird Tessa von der Polizei verdächtigt, mindestens eine Sympathisantin zu sein. Gleichzeitig beobachtet die IRA Tessa, um herauszufinden, ob sie eine Verräterin ist. In der gleichen Gefahr befindet sich Marian. Auch ihr könnte man jederzeit Verrat unterstellen. Die nächste Stufe der Eskalation besteht aus gefährlichen Loyalitätsbeweisen.

„In den Augen einer bestimmten Gemeinschaft bin ich jetzt die niederste Lebensform. Ihrer Meinung nach sollte man mich erschießen und meine Leiche als Warnung auf der Straße liegen lassen.“ (S. 163)

Edgar Award

Die Amerikanerin Flynn Berry wurde bereits 2017 mit dem Edgar Award für ihr Erstlingswerk Under the Harrow ausgezeichnet. Dieser Award wurde Edgar Allan Poe gewidmet und gilt als der populärste und bedeutendste Preis für kriminalliterarische Werke. Der Roman beziehungsweise Thriller Northern Spy beschreibt die Übergangszeit, in der England und Vertreter der IRA Friedensverhandlungen aufgenommen haben.

Flynn Berry beschreibt den Nordirlandkonflikt aus der Perspektive einer jungen Mutter, die sich nach Frieden sehnt sich. Ihre Angst und Panik kann kaum größer sein, als sie in Dinge hineingezogen wird, denen sie sich nicht entziehen kann. Bei James Bond ist Spionage ein eindeutiges Geschäft. 007 folgt einfach nur dem Geld. Für Tessa dagegen ist jeder Schritt die Wahl zwischen den tödlichen Krankheiten Pest und Cholera.

Flynn Berry: Northern Spy: Die Jagd
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Wolfgang Thon
Aufbau Taschenbuch, Februar 2023
362 Seiten, Taschenbuch, 13,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.