Erik Fosnes Hansen: Zum rosa Hahn

Eine spionierende Katze, eine sprechende Warze, jammernde Brotteige, Kissen mit Schlafdrüsen, politisch aktive Mäuse – und von den kuriosen Zweibeinern wollen wir gar nicht erst anfangen! In Erik Fosnes Hansens fantastischer Welt ist nichts unmöglich. Fast möchte man das Hirn des Autors unters MRT legen, um herauszufinden, woher er seine genial-grotesken Einfälle bezieht. Selbst Folter und Armut werden hier so wahnsinnig komisch erzählt, dass es ein Vergnügen ist, den Ausschweifungen des Autors zu folgen.

„Zum rosa Hahn“ heißt eine Pension samt Wirtschaft, in der zwei Goldmacher in der Stadt Jüterbog, irgendwo in der Nähe von Potsdam, absteigen. Rosa ist die Lieblingsfarbe der jungen Herrscherin Clothilde, folglich erhält so ziemlich alles diesen Anstrich. Der alte Goldmacher drängt darauf, die seltene Kunst der temporären Goldverwandlung vor großem Publikum vorzuführen, während sein junger Kollege eigentlich nach Cottbus weiterwandern will, wo ein Mädchen auf ihn wartet, dessen Vagina gut zu seinem kleinen Penis passt. Die haarsträubende Bürokratie in Jüterbog, spionierende Haustiere, zwielichtige Fischhändler, ein gemeingefährlicher Junge, ein sterbenskrankes Mädchen und weitere merkwürdige Gestalten sorgen jedoch dafür, dass alles aus dem Ruder läuft. Statt in Ruhe die Spezialität des Hauses, den Goldhirsch, zu genießen, gerät der junge Uhrmacher in ein Komplott aus Umsturzversuchen und Anarchie.

Makaber, schwarzhumorig und manchmal so, als hätte sich der Autor gerade auf einem Trip befunden (gemeint ist nicht der von geografischer Natur): Diesen Wortwitz muss man einfach lieben! Dabei schert sich Hansen nicht um Political Correctness. Gelangweilte Teenager-Fürstinnen nehmen ihre Minister derart in die Mangel (bzw. eine Art Mangel-Maschine), dass es diese nicht überleben. Einfach nur aus Langeweile. Woher sollte die Herrscherin auch wissen, dass der junge Minister „so wenig abkann“. Priester raten verzweifelten Müttern zum Einschläfern böser Buben, den Sarg-Rabatt gibt’s gratis obenauf! Massagen gelten in Jüterbog als Zahlungs- und Belohnungsmittel. Menschen, die pleitegehen, werden zur Strafe als Lockvögel in den Wald verbannt, bis sie einem Hobbyjäger vor die Flinte laufen. Der Bildungsminister führt die „nullte“ Stunde ein, damit Schüler „nicht zu früh im Leben in den unverdienten Genuss morgendlichen Ausschlafens kämen“. (S.99)

Stilistisch hüpft der in New York geborene und in Oslo aufgewachsene Autor in kurzen, knackigen Szenen hin und her zwischen seinen Protagonisten. So entwickelt der Plot eine ungeheure Dynamik. In atemlosem Tempo folgen wir den Vorgängen, die parallel stattfinden und am Ende gekonnt zusammenfließen. Besonders schön an Hansens Prosa ist, dass er allem Charakter einflößt, nicht nur Tieren, sondern auch Dingen, Kunstwerken, dem Wetter. Ein Beispiel: „Das Telefon war in der Zwischenzeit glühend rot geworden. Es klingelte wie besessen, zusätzlich machte es kleine, zornige Hüpfer.“ (S. 113) Dadurch strotzt die Geschichte nur so voller Leben. Jede Seite ist gespickt mit hinreißend komischen Details. Da Hansen zwei Jahre lang in Stuttgart studiert hat und gut deutsch spricht, schimmert in der fantastischen Geschichte so manches Lokalkolorit aus dem Land von Goethe und Schiller durch. Die ausufernde Bürokratie in Jüterbog mit all ihren „Stemplern“ kann durchaus als kleiner Seitenwink verstanden werden.

Gerade wenn man glaubt, in Hansens skurriler Fantasiewelt könnte einen nichts mehr umhauen, zaubert der Autor im letzten Kapitel noch eine Überraschungs-Pointe hervor. Einfach großartig, von der ersten bis zur letzten Seite! Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen möchte, um wieder in den banalen Alltag zurückzukehren, in dem Dinge nicht fühlen, Tiere nicht sprechen und physikalische Gesetze starken Begrenzungen unterliegen.

Erik Fosnes Hansen: Zum rosa Hahn.
Aus dem Norwegischen übersetzt von Ina Kronenberger.
Kiepenheuer&Witsch, Juni 2022.
496 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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