Elena Ferrante: Frantumaglia: Mein geschriebenes Leben

„Frantumaglia“ lautet die neapolitanische umgangssprachliche Bezeichnung für „verworren“. Mit diesem vielseitig zu deutenden Wort, das Elena Ferrante von ihrer Mutter, einer Schneiderin, entlehnt hat, versucht sie sich selbst und ihren Lesern Klarheit über ihr Schreiben und viele offene Fragen zu schaffen.

Die italienische Schriftstellerin, die mit ihren Büchern internationalen Ruhm erlangt hat, meidet jedoch seit jeher die Öffentlichkeit. Bewusst hat sie sich für ein Pseudonym und die Anonymität entschieden. Nicht öffentlich auftreten zu müssen, verschaffe ihr eine große kreative Freiheit, betont Ferrante (E-Book S. 64) – Eine Haltung, die zu respektieren sein sollte. Dennoch hat ein Investigativjournalist versucht, Elena Ferrantes Identität aufzudecken und der Öffentlichkeit preiszugeben. – Schade!

Im Vorspann von Frantumaglia melden sich nun Ferrantes Verleger Sandra Ozzola und Sandro Ferri über dieses Buch zu Wort. Um die anhaltende Neugierde des Publikums, wer Elena Ferrante wirklich ist, zu befriedigen, macht das Verlegerpaar hier weitere Texte der Autorin den Interessierten zugänglich. So finden sich in diesem Band Briefe der Autorin an den Verlag samt einigen ihrer seltenen, schriftlich gehaltenen Interviews, ihre Korrespondenz mit einigen ausgewählten Lesern sowie ihren Austausch mit ihrem Regisseur Mario Martone. Aus den Texten erschließt sich zudem, warum die Autorin weiterhin anonym bleiben möchte. Man erfährt nähere Hintergründe über Elena Ferrantes Schreiben und ihre Protagonisten, ihre Fantasien und Ideen, wodurch sie auch ein Stück mehr ihrer Persönlichkeit preisgibt. „Ich verarbeite echte Erlebnisse, aber nicht so, wie sie sich wirklich zugetragen haben, als tatsächlich vorgefallen“… erläutert Ferrante unter anderem (E-Book S. 63).

Vor allem mit ihrer Neapolitanischen Saga hat Ferrante sich in die Herzen von Millionen Lesern geschrieben. Ob Hillary Clinton, Michelle Obama, Gwyneth Paltrow oder Jonathan Franzen – sie alle und viele weitere Prominente haben sich öffentlich dazu bekannt, von Ferrantes Büchern fasziniert zu sein. Das verwundert nicht, denn Elena Ferrantes Geschichten üben einen Sog aus, der die LeserInnen bereits nach wenigen Sätzen in Bann zieht. Schon bald sieht man sich selbst mit der Szenerie verschmolzen. In der Neapolitanischen Saga erzählt sie von der Freundschaft ihrer beiden Protagonistinnen Lila und Lenú und deren unterschiedlichem Werdegang im Neapel der fünfziger Jahre. Die Geschichte fasziniert durch die empfundene Authentizität der Figuren ebenso wie im Eintauchen in die Gerüche, Klänge und Farben, von denen Neapel erfüllt ist. Unweigerlich geht man davon aus, dass die Autorin im Text ihre ureigenen Erlebnisse verarbeitet.

In „Frantumaglia“ erfährt man zudem Vieles über Ferrantes Aufarbeitung der Mutter-Tochter-Beziehung.

Dieses Buch, in dem unterschiedlichste Schriften von Elena Ferrante aus über fünfundzwanzig Jahren abgedruckt sind, bringt die Schriftstellerin all jenen begeisterten LeserInnen, die mehr über sie und ihr Schreiben erfahren wollen, ein Stück näher.

Die Übersetzungen aus dem Italienischen stammen von Julika Brandestini und Petra Kaiser.

Elena Ferrante: Frantumaglia: Mein geschriebenes Leben.
Suhrkamp, März 2021.
498 Seiten, Taschenbuch, 13,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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