Der zehnjährige Thomas trägt zu seiner roten Kappe jetzt auch einen roten Schal. Der rote Schal gehörte seinem Opa, den er sehr liebte, der mit ihm über seine Träume sprach oder ganz viel mit seinen Händen machen konnte.
Als Thomas bei seinen Großeltern zu Besuch war, schlief sein Opa ein. Er stupste noch kurz seine Frau an, und dann schlief er für immer ein. Es dauert eine Weile, bis er abgeholt wird. Thomas erinnert sich an Opas lächelndes Gesicht. Es will so gar nicht zu der schimmernden Plane passen, unter der Opa verborgen liegt.
„… Das macht mich böse. Opa in einer Plane, als wäre er ein Ding. Es ist gemein. Er ist tot. Als ob das nicht genug wäre.“ (S. 16) Thomas weiß nicht, wie er mit Opas Fehlen umgehen soll. Er ist ratlos. „Leute in Geschichten weinen, wenn jemand tot ist. Meine Oma nicht. Ich auch nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich traurig bin. Es ist, als fehlte etwas. […] Keine Ahnung.“ (S. 20) Diese Leere beschäftigt ihn, und er glaubt, er hätte viel mehr als nur seinen Opa verloren.
Dolf Verroen hat in seinem von Rolf Erdorf übersetzten Kinderbuch den Tod thematisiert, der sich aus dem Alltag nicht wegdenken lässt. Geburt, dazwischen ganz viel Leben – hoffentlich – und eines Tages Abschiednehmen. Dies sind die Stationen eines Weges, den jeder Mensch zu gehen hat.
Thomas wird von der Illustratorin Charlotte Dematons so gezeichnet, als wäre er Opa in klein. Beide tragen eine Brille und etwas Rotes. Schon im ersten Bild werden sie am Küchentisch gezeigt. Jeder auf einer Seite. Sie sehen sich an. Die gleiche Mimik und Zugewandtheit. Nur der Tisch ist zwischen ihnen. Als wäre hier der erste Schritt der anstehenden Trennung gezeichnet. Sein Umgang mit der Trauer findet in schlichten Worten und begleitenden Bildern eine prägnante Umsetzung. Auch wenn Thomas seine Eltern, Oma und seinen Freund Omar an seiner Seite weiß, bleibt in seinem Leben diese leere Stelle.
Einfühlsam beschreibt Dolf Verroen, wie Thomas diese Leere füllt. Parallel zum traurigen Alltag in klaren Linien und düsteren Farben, in denen überall der rote Farbklecks leuchtet, malt die Illustratorin Opas Träume wie Erinnerungen im Nebel. Diese Bilder sind größer, raumnehmend, bunt und weniger gegenständlich. Thomas erinnert sich bei diesen Traumbildern an Opas Erzählungen, die Oma nicht ernst nimmt und zu denen nur er einen Bezug hat. Die Wechsel zwischen Opas Träumen und dem nackten Alltag schenken Thomas Halt und das, was jeder Mensch beim Abschiednehmen braucht, Trost.
Dolf Verroen: Traumopa.
Freies Geistesleben, Februar 2021.
40 Seiten, Gebundene Ausgabe, 15,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.