Die 16-jährige Ella leidet unter schlimmen Wutanfällen und hat damit so lange Freundschaften torpediert, bis sie beschloss, keine mehr zu wollen. Sie befindet sich deswegen in Therapie, kann aber ihren Therapeuten nicht wirklich ernst nehmen. Sie lebt mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder Louis in Dortmund und schon bei der Beschreibung ihres Lebens beginnt der Leser zu ahnen, woher ihre Wutanfälle kommen. Ihre Mutter ist eine vielbeschäftigte Galeristin, ihr Vater ein eher nicht vielbeschäftigter Schauspieler. Beide sind lieber mit Drogenkonsum und Partys beschäftigt als mit der Erziehung ihrer Kinder, aber wenn es so offensichtlich wird wie bei Ella, kümmert man sich halt oder vielmehr lässt sich den Therapeuten kümmern. Auf ihre Familiensituation wird in Rückblenden immer wieder eingegangen. Nach einem Ehestreit verschwindet der 13-jährige Lois und da das sonst niemanden zu interessieren scheint, macht sich Ella auf die Suche.
Begleitet wird sie dabei von einem sprechenden Plastikfisch in einer Aldi-Tüte, den ich ziemlich witzig fand. Er ist so etwas wie das Gesicht von Ellas Unterbewusstsein, seine wichtigste Funktion ist, sie vor Gefahren zu warnen und von denen lauern im Laufe des Buches einige. Den Gedanken mit dem Fisch fand ich genial von Charlotte Brandi. Endlich mal ein Teenager, dem wir nicht dauernd beim Abwägen zuhören müssen, sondern einfach ein ausgelagerter Indikator. Denn was der Fisch so von sich gibt, ist das, was Ella eigentlich weiß oder ahnt, was es in ihrem Denken aber nicht so richtig in den Vordergrund schafft – Unterbewusstsein eben. Und Gefahren lauern ohne Ende auf ihrem Roadtrip durch Dortmund. Wer sich dort auskennt, wird vermutlich einiges erkennen, denn die Autorin selbst ist in Dortmund aufgewachsen. Ich kenne da nur die wirklich bekannten Orte und auch die nicht alle. Es gibt aber jede Menge Lokalkolorit. Ella und der Fisch stellen viele Vermutungen an, wohin Louis gegangen sein könnte und warum und treffen beim Überprüfen der Orte viele nette und hilfreiche, aber auch viele böse und gemeine Menschen. Ihr Ausgangspunkt ist die Laube im Schrebergarten des alten Eckhard, ich glaube, ein solches Original hat jede Ruhrgebietsstadt. Leider kann Eckhard ihr nicht mehr helfen, denn er selbst gleitet mehr und mehr in die Demenz ab.
Während dieses literarischen Roadmovies sieht der Leser zu, wie Ella sich Stück für Stück verändert, erwachsener wird. Es gelingt ihr mehr und mehr, ihre Wutanfälle in den Griff zu bekommen, vor allem als sie das Zeichnen als Ventil findet. Sie lernt, was Freundschaft bedeutet und auch, was sie nicht bedeutet.
Fazit: Ich fand den Roman, der trotz der jungen Protagonistin nicht speziell als Jugendbuch deklariert ist, sehr unterhaltsam. Vielleicht auch, weil Charlotte Brandi die Menschen des Ruhrgebietes so treffend eingefangen hat. Und der Fisch ein Fisch ist und keine Klischeetaube.
Charlotte Brandi: Fischtage
Park (Ullstein), 03 /25
gebundenes Buch, 320 Seiten, 23 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.