Cay Rademacher: Nacht der Ruinen

Beklemmende Szenen in zerstörter Stadt
Das Grauen am Tag Zero. Genauer: Köln, März 1945. Die Alliierten haben in den letzten Kriegstagen die viertgrößte Stadt Deutschlands zusammengebombt, die Menschen leben unter erbärmlichsten Umständen. Strom, fließendes Wasser, Wärme, Nahrung, ein Dach über dem Kopf? Weitestgehend Fehlanzeige. Dafür grassieren Krankheiten wie Fleckfieber, die Menschen leiden an Hunger, viele sind traumatisiert. Inmitten dieser Schreckensszenerie kehrt der einst in Köln lebende Jude Joseph Solomon als US-Soldat in seine Heimatstadt zurück. Mit dem Auftrag, den Mörder eines abgestürzten amerikanischen Piloten zu finden. Doch Joseph sucht zwei weitere Menschen, die er vor seiner Flucht 1938 in der Rheinmetropole zurückgelassen hat. Seinen jüdischen Jugendfreund Jakub und seine arische Freundin Hilda, in die er heimlich verliebt war.

Köln von Nazis „entlausen“
Schnell stellt Joseph fest, dass die äußeren Zerstörungen der Stadt nichts im Vergleich zu den Schrecken der Nazis sind. Foltergefängnisse, Massenmord, Kinderheime für „erbgutgeschädigte Kinder“ ohne Wiederkehr. Als die alliierten Besatzer „aufräumen“, kommen ständig grausame Entdeckungen ans Tageslicht. Dazwischen überall Denunzianten, Überläufer, Verräter und Leute, die das Hakenkreuz zwar äußerlich abgelegt haben, aber längst nicht in Gedanken.

Von Anfang an nimmt die stimmungsvoll gezeichnete Story seine LeserInnen ganz für sich ein. Das liegt vor allem am Protagonisten Joseph, der sich sprichwörtlich in die Höhle des Löwen wagt. In eine Stadt, in der bis vor wenigen Tagen Juden wie er gefoltert, deportiert und umgebracht wurden – ohne Aufschrei in der Bevölkerung. Es begegnen ihm Menschen, die ihre Probleme mit den nun umgedrehten Machtverhältnissen haben, aber auch Menschen, die ebenfalls unter Repressalien des Nazi-Regimes gelitten haben. Schließlich findet er Hilda wieder, wenngleich er sich das Wiedersehen anders vorgestellt hat. Nicht nur, dass Hilda nach seiner Flucht Jakubs Geliebte wurde, sie ist mittlerweile mit einem angesehenen Arzt verheiratet. Doch das schlimmste: Jakub wurde denunziert, verhaftet und vermutlich ermordet. So sucht Joseph in den Ruinen nicht nur nach einem Mörder, sondern auch nach einem Verräter.

Verräter leben unbehelligt weiter
Der auf historische Krimis spezialisierte Autor Cay Rademacher führt uns die Grausamkeit des Krieges durch das DANACH vor Augen. Aus Sicht von Joseph Solomon entdecken wir Leser den alltäglichen Schrecken einer Gesellschaft, die ihren moralischen Kompass verloren hat. Gleichzeitig muss das Leben weitergehen. Doch wie kann das Gift der NS-Propaganda aus den Köpfen und Herzen der Bevölkerung entfernt werden? Wie findet man kurz nach Einnahme der Stadt Köln vertrauenswürdiges Personal zur Wiederherstellung der Demokratie? Denn angeblich waren alle unschuldig und haben von nichts gewusst. Nazis, das waren immer die anderen. Fiktiver Kriegsthriller mit realen Persönlichkeiten
Als besonderen Clou der fiktiven Geschichte – die auf realen Ereignissen wie der dokumentierten Zerstörung beruhen – baut der Autor berühmte historische Persönlichkeiten in den Plot ein. Zum Beispiel den britischen Autor George Orwell („1984“, „Farm der Tiere“), der sich im März 1945 tatsächlich als Kriegskorrespondent in Köln aufhielt. Oder Konrad Adenauer, vor der NS-Machtergreifung Oberbürgermeister von Köln war. Daneben sind viele weitere im Roman auftauchende Figuren vom Kriegsfotografen über den Polizeichef bis zur Röntgenassistentin, die Juden geholfen hat, historisch verbürgt. So ist Cay Rademachers neuer, historischer Kriegskrimi nicht nur hochspannend, sondern auch historisch genau recherchiert. Was den Plot umso lebendiger, atmosphärischer und erschreckender macht.

Cay Rademacher: Nacht der Ruinen.
DuMont, Februar 2025.
432 Seiten, gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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