Wenn die Fiction von der Realität überholt wird…
Das hat sich die Autorin dieses hochspannenden und psychologisch fesselnden Thrillers auch nicht träumen lassen. Sie begann 2018 an ihrem Roman zu schreiben. Ein Roman um die letzte Überlebende einer tödlichen Pandemie. Drei Monate nach Unterzeichnung ihres Buchvertrags erfuhr sie zum ersten Mal von dem in China aufgetretenen Virus. „Ich habe ein Buch über eine fiktionale Pandemie geschrieben, das während oder während der Nachwehen einer echten Pandemie erscheinen wird.“ (Nachwort, S. 461)
Wer beginnt, dieses Buch zu lesen, legt es erst wieder aus der Hand, wenn die letzte Seite umgeblättert ist. Bethany Clift schildert in ihrem Debütroman, wie eine Frau nicht nur ums Überleben kämpfen muss, sondern auch gegen ihre inneren Dämonen. Die namenlose Protagonistin, die ihr ganzes bisheriges Leben unter Angstattacken litt, die wenig eigenständig entschied, die alles ihrem Lebensgefährten überließ, die sich in den falschen Beruf, in die falsche Beziehung treiben ließ, diese Frau ist nun plötzlich ganz auf sich allein gestellt.
In einem apokalyptischen England muss sie Nahrung, Unterschlupf finden, muss sich gegen Angriffe von Ratten und aggressiven Vögeln zur Wehr setzen. Sie sucht nach anderen Überlebenden, doch sie findet überall nur endloses, schier unerträgliches Grauen. Das Virus, genannt 6dm für six days maximum, nach der Anzahl Tagen, die es höchstens dauert, bis man daran stirbt, hat die gesamte Bevölkerung Englands ausgelöscht. Doch sie gibt nicht auf, sie sucht, sie fährt herum. Sie findet einen Hund als Gefährten, sucht weiter, hofft weiter.
Die Protagonistin des Romans ist keine sympathische Frau, keine toughe Heldin. Sie ist verstört, hilflos, krank, tablettensüchtig, aggressiv und sehr einsam. In Rückblicken lernt man ihr bisheriges Leben kennen und verstehen, warum sie jetzt ist, wie sie ist. Das macht es nicht leichter, sie zu mögen. Doch im Verlaufe der Handlung wandelt sie sich und die Leserin beginnt, mit ihr zu bangen, mit ihr zu hoffen, ihr zu wünschen, dass sie überlebt.
Das Ende ist dann so wenig vorhersehbar wie all die Episoden, die Begegnungen, die Geschehnisse, die die hochtalentierte Autorin in ihrem Buch schildert. Dabei ist alles, was sich ereignet, zwar absolut schrecklich, aber leider auch realistisch, vorstellbar. Das macht dieses Buch so beängstigend, zumal heute, mit dem Wissen um die tatsächliche Pandemie.
Eine absolute Leseempfehlung, für Leserinnen mit guten Nerven.
Bethany Clift: Die Letzte macht das Licht aus.
Aus dem Englischen übersetzt von Lilith Winter.
Heyne, September 2021.
464 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.