Jola ist eine Förstertochter aus dem Osten der Republik. Der Wald rings um ihr thüringisches Dorf ist quasi ihre zweite Heimat, hier fühlt sie sich wohl und sicher, hier kennt sie sich aus. Mit Sachverstand beobachtet sie die einheimischen Tiere und selbst in der Nacht ist der Wald kein Ort, an dem sie sich fürchtet. Hier fühlt sie sich geborgen, denn weder ihre hysterische Mutter noch ihr klammernder Freund noch die bösen Zungen des Ortes werden sie bis in den Wald verfolgen.
Bis sie sich eines Tages beobachtet fühlt. Erinnerungen kommen hoch. Vor fünf Jahren verschwand ihre beste Freundin im Alter von elf Jahren, es gibt Stimmen, die behaupten, der Verurteilte wäre nicht der Täter gewesen. Ist Alinas Mörder noch einmal zurückgekehrt? Und gerade jetzt kann Jola nicht aus dem Wald herausbleiben, denn eine Wölfin mit vier Welpen ist nach Thüringen eingewandert und hat einen Bau in Jolas Wald gefunden. Leider ist sie alleine, ohne Rüden und ohne Rudel. Deswegen fällt es ihr schwer, genug zu jagen, um die vier wachsenden Mäuler satt zu bekommen. Wenn sie nicht genug im Wald findet, wird sie früher oder später an das Vieh der umliegenden Bauern gehen und das wird das Ende der Wölfin sein. Jola versucht zu helfen und erstaunlicherweise steht sie nicht alleine gegen ihr Dorf.
Antje Babendererde verknüpft verschiedene Motive zu einem spannenden Thriller. Da ist die heranwachsende Jola mit ganz normalen Teenagerproblemen, da ist der Naturschutz, aber da ist auch das große Schweigen, das nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte und das das Dorf um jeden Preis weiter einhalten will. Bloß nicht dran rühren ist auch beinahe 70 Jahre nach Kriegsende immer noch das, was die Dorfbewohner wollen, bis in die nächste und übernächste Generation.
Auch wenn ich Jolas Vorschlägen zum Wolfsschutz nicht in allen Fällen folgen, kann (Herdenschutzhunde sind ein guter Gedanke, das würde auch funktionieren, wenn es den Schäfern nicht in vielen Gegenden verboten wäre, die Hunde nachts frei mit der Herde laufen zu lassen) hat mir das Buch gut gefallen. Jola steht trotz ihrer Tierliebe mit beiden Beinen in der Realität, ihr ist klar, wie viele von den Gänsen, die heute noch auf den Wiesen fröhlich schnattern, der nächste Weihnachtsbraten sein werden und das die Menschen in ihrem Dorf genau davon leben. Ich mochte die Art und Weise, wie die Autorin versucht hat, Tierschutz und Tierfarm in einem Buch eine Stimme zu geben. Natürlich sagt nicht jeder „Willkommen Wolf“, aber sehr viele Vorurteile können widerlegt werden. Denn den Isegrim, die bösartige Märchengestalt, die Kinder stiehlt, ist nichts anderes als eine Märchengestalt.
Der Autorin gelingt es von Anfang an, mich in die Geschichte hineinzuziehen und sie baut ihre Geschichte schichtenweise auf, um erst am Ende alles aufzulösen. Dadurch entsteht ein ganz besonderer Spannungsbogen, und hinterher ist dem Leser klar: Da war kein Nagel in die Wand geschlagen, an dem nicht irgendwann ein Hut hing.
Antje Babendererde: Isegrim.
Arena, August 2013.
410 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.