Anna-Maria Caspari: Perlenbach

Luise weiß genau, dass sie im Perlenbach nicht nach Muscheln suchen darf. Jeder, der dabei erwischt wird, muss mit einer vom König verordneten drastischen Bestrafung rechnen. Während Jacob und Wilhelm am Ufer stehen, springt sie in das eisige Wasser des Perlenbachs. Der Fund, das plötzliche Erscheinen von einem Wächter und die gelungene Flucht in ein Versteck machen aus diesem Spiel ein unvergessliches Abenteuer. Mit den Perlen besiegeln sie ihren Schwur auf ewige Freundschaft.

Die drei Kinder werden älter und viel zu schnell erwachsen. Jeder von ihnen verfolgt eigene, einsame Ziele, und es sieht so aus, als würde der Schwur im Laufe bewegender Jahre in Vergessenheit geraten.

Die Autorin und Literaturübersetzerin Anna-Maria Caspari lebt in der Eifel. Ihr historisches Umfeld hat sie inspiriert, eine Trilogie über ihre Heimat zu schreiben, die zu einer Reise in die entbehrungsreiche Vergangenheit der Eifel einlädt. Die große Armut und fehlende Rechtssicherheit haben Luise, Jacob und Wilhelm in ihrer Kindheit in ihrer Tragweite noch nicht begriffen. Sie sind Teil des Lebens wie Regen und Sonne. Anfangs sehen Luise und Jacob in Wilhelm nicht den armen, halbverhungerten Bauernjungen sondern einen regelmäßigen Gast, mit dem sie auf Augenhöhe Freundschaft schließen. Weil Jacobs Vater, ein reicher Tuchfabrikant aus Monschau, bei Wilhelms Vater in Wollseifen jedes Jahr Schafwolle kauft und er die Not der kinderreichen Familie lindern will, darf der aufmerksame Wilhelm häufig den Winter in Monschau genießen. Dort soll er dem mit einem Handikap geborenen Jacob Gesellschaft leisten und mit ihm am Hausunterricht teilnehmen. Auch die Töchter des Monschauer Arztes nehmen 1867 am Unterricht teil. Die Kinder wissen noch nicht, wie besonders ihr Zusammentreffen ist, denn Bildung war in dieser Zeit ausschließlich reichen Jungen vorbehalten. Genauso ungewöhnlich ist der Umstand, dass Jacobs Vater seine Angestellten gut bezahlt, bis ihn neue Umstände zum Umdenken zwingen.

Indirekt zeigt die Autorin am Beispiel der Freunde, dass nur Bildung und ein Wille zur Veränderung eine Perspektive für die Zukunft bietet. Anna-Maria Caspari gelingt im ersten Teil ein spannungsreicher Auftakt, der zeigt, warum die Eifel einst das Armenhaus war. Die gesellschaftlichen Veränderungen durch politische Wechsel und die aufkommende Industrialisierung mit der einhergehenden Gefährdung der Gesundheit von Menschen und Natur werden zu einem mitreißenden Strudel.

Der Autorin gelingt eine fundierte Geschichte, die ganz natürlich auf viele Schwierigkeiten zusteuert. Hierbei wird deutlich, welche Ereignisse in der Welt die Lebensbedingungen in der Eifel mitbestimmen. Daraus entwickelt sich eine fesselnde Lektüre, der man sich nicht entziehen kann beziehungsweise möchte. Aus unterschiedlichen Perspektiven entstehen biografische Verläufe, die viel Empathie wecken.

Der Roman Ginsterhöhe, der zweite Teil der Trilogie, ist bereits im vergangenen Jahr erschienen.

Anna-Maria Caspari: Perlenbach
Ullstein Verlag, Juli 2023
384 Seiten, Klappbroschur, 16,99 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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