Anja Marschall: Hotel Vier Jahreszeiten: Der Glanz des neuen Morgens

Auch der zweite Teil dieser Dilogie um das heute noch existierende Hamburger Luxushotel „Vier Jahreszeiten“ ist wieder historisch fundiert, gut recherchiert und fesselnd geschrieben. Ohne Pathos oder Schwülstigkeit, ohne auf die Tränendrüse zu drücken, erzählt die Autorin hier von der Zeit nach dem Ersten und vor dem / während des Zweiten Weltkrieges.

Die Nationalsozialisten übernehmen nach und nach die Macht, das Leben derer, die diese Ideologie nicht unterstützen oder sich gar offen dagegen aussprechen, wird immer schwerer. So auch für den jungen Hoteldirektor Fritz Haerlin, der inzwischen die Leitung des Hauses von seinem Vater übernommen hat und so weit er kann, versucht, dem Druck von außen standzuhalten. In Luise, der „Göre aus der Gosse“, als die sie (von der missgünstigen Ziehmutter verächtlich so genannt) vor Jahren als Aushilfe in der Wäscherei der Hotels angefangen hat, findet er eine loyale Mitarbeiterin und Freundin, die sich Anerkennung und Respekt der Familie Haerlin und auch der Angestellten im Hotel redlich erarbeitet hat. Luise ist zur zunächst stellvertretenden Hausdame avanciert, als alle männlichen Angestellten des Hauses eingezogen werden, überträgt Fritz ihr die Verantwortung, das Hotel, gemeinsam mit einem weiteren Vertrauten, zu führen.

Luise scheut keine Risiken, die jüdischen Mitarbeiter und Freunde so gut es geht, vor den Nazis zu schützen, gerät mehrfach selbst in Gefahr und kommt oft genug gerade noch mit einem blauen Auge davon. Ihr Leben ist das Hotel, ihre Liebe gehört dem Hotel und „ihrer Familie“, zu der „der Patron“ und seine Familie, aber auch die Kolleginnen und Kollegen schon lange geworden sind. Mit ihrer offenen, umsichtigen und freundlichen Art, gelingt es Luise, zuzuhören, wenn andere Probleme haben und da zu sein, wenn Hilfe gebraucht wird. Ihr eigenes Privatleben verläuft leider wesentlich weniger erfreulich. Mehr als einmal wird sie von der Liebe enttäuscht, aber auch das verarbeitet sie tapfer. Ihre Vergangenheit, ihre Herkunft hat Luise nicht vergessen, aber sie hat gelernt, dass Fleiß und Wissbegierde, Aufrichtigkeit und Loyalität sie zu dem gemacht haben, was sie heute ist. Sie ist dankbar für die Erfahrungen, die sie machen musste oder durfte und weiß zu schätzen, dass sie es „aus der Gosse“ in die obersten Etagen des Luxushotels geschafft hat.

Kein leichter, unbeschwerter Roman, auch wenn man die Geschichte der Luise durchaus einfach so lesen könnte. Ein tiefgründiger, empathischer, gut recherchierter historischer Roman um eine junge Frau, die den Widerständen ihrer Zeit trotzt, einsteht für das, was ihr wichtig ist und ihren Weg geht, auch wenn er steinig ist. Gut geschrieben, flüssig zu lesen und noch einmal eine andere Perspektive auf eine Zeit, die keineswegs rosig war.

Anja Marschall: Hotel Vier Jahreszeiten: der Glanz des neuen Morgens
Piper, Juli 2025
399 Seiten, 13,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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